Rezension

Als wir das Internet erfanden

So enden wir - Daniel Galera

So enden wir
von Daniel Galera

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ich bin ein großer Fan vom Ende der Welt. Fiktiv gesehen. Da gibt es tolle dystopische Jugendromanserien, die gerade aufwendig verfilmt werden. Fernsehserien, in denen sich die Menschen erst mit Zombies rumschlagen und dann mit sich selbst. Heldenepen, in denen einzelne die Welt vor dem Untergang retten. Düstere Science-Fiction-Sagas in denen es immer um alles oder nichts geht, mindestens aber die ein oder andere Welt als Kollateralschaden vernichtet wird. Apokalypsen stehen hoch im Kurs, das wussten auch schon die Bibelschreiber: Noah und seine Arche, Sodom und Gomorrha, dazu die Zehn Plagen im alten Ägypten. Ob sich Daniel Galera nun mit Absicht oder unbewusst hier einreihen wollte, vermag ich nicht zu sagen. Aber mit seinem Titel und der permanenten Endzeitstimmung seiner Figuren muss er sich diese Assoziation meinerseits gefallen lassen. Und was soll ich sagen? Die Zehn Plagen sind mir lieber. Bis auf Pseudoendzeitstimmung passiert auch nicht viel in seinem Roman über vier nicht mehr ganz junge Menschen, die nach einem Überfall nur noch zu dritt im Bunde sind und dieser Bund bereits einige Jahre, ja fast Jahrzehnte zurückliegt. Keine Apokalypsen, keine Zombies, keine Riesenwellen – nur ein Busstreik und eine Beerdigung während der heißesten Zeit des Jahres irgendwo in einer Großstadt in Brasilien. „Virtuos agil und unerschrocken“ heißt es auf dem Rückdeckel über Galeras Roman. Mit „unerschrocken“ sind wahrscheinlich die vielen Beschreibungen der sexuellen Vorlieben und Praktiken seiner Figuren gemeint. Sie sollen wohl dabei helfen, den Kontrast zwischen den jungen Ichs und den erwachsenen Ichs zu verdeutlichen. Früher als Mittzwanziger ist Antero vor laufender Kamera mit seinem nackten Hintern über die Gesichter von Frauen gerobbt, heute braucht er eine Stunde, um die perfekte Abfolge aus digitalen Pornobildern für die Masturbation zusammenzustellen und ist dann so ausgepumpt, dass er eine zweite Runde mit der eigenen Frau nicht mehr schafft. Und Aurora ist so in ihre Forschungsarbeit an der Uni versunken, dass ihr die Zeit für echte soziale Kontakte fehlt, die kompensiert sie dann mit virtuellen Sexchats. Emiliano hat seine Homosexualität endlich akzeptiert und schreibt jetzt eine Biografie über den verstorbenen Kumpel Duke. Der war noch keine 40, erfolgreicher Schriftsteller und ist beim Joggen wegen seines Handys überfallen und erschossen worden. Alle vier waren zu Beginn des Internets ganz weit vorn dabei und haben sich 1999 einen Namen gemacht mit einem Online-Magazin, dass per Mail verschickt wurde. Wie alle jungen Leute haben sie sich damals unsterblich und zu Großem berufen gefühlt. 15 Jahre später scheinen sie ernüchtert vom Status Quo und schwelgen abwechselnd in Nostalgie und Endzeitstimmung. Warum habe ich nicht ganz verstanden. Irgendwie fehlt mir komplett der Zugang zu den drei Charakteren. Es gibt keine große Handlung, nur drei Ich-Erzähler, die abwechselnd zu Wort kommen und mich allmählich nerven mit ihrem Erzählton „jetzt ist Andrei tot, damals waren wir so jung, wir hatten das beste Jahr unseres Lebens, es herrschte der gleiche Lebensüberdruss bei mir wie letzte Woche, ich goss mir einen Whisky ein,...“ Zwischendrin dann manch kluger Satz wie „Die schlimmste Eitelkeit ist die Forderung nach Anerkennung für unsere Aufopferung.“ Solche schlauen Sätze sind natürlich von Andrei, dem Schriftsteller mit Spitznamen Duke.

Vielleicht wirkt in der Übersetzung Galeras Erzählsprache nicht. Vielleicht passt seine brasilianische Endzeitstimmung nicht zu unserer europäischen. vielleicht geht es mir persönlich gerade zu gut, dass ich mich nicht mit der Midlifecrisis von fiktiven Figuren auseinandersetzen mag. Vielleicht ist Galera auch egal, was ich von seinem Text halte.

Ich suche mir jetzt einen schönen dystopischen Roman, in dem hätten die Charaktere in der Regel einen Grund zum Jammern in ihrem repressiven Leben und verlieben sich stattdessen beim rebellischen Kampf gegen die diktatorische Herrschaft in ihre Kampfgenossen, kurz bevor sie die Welt retten.