Rezension

Alti nicht Multi

Interworld - Neil Gaiman, Michael Reaves

Interworld
von Neil Gaiman Michael Reaves

Bewertet mit 4 Sternen

„Alles hat mit Soziologie zu tun!“

Gelesen habe ich von Gaiman bisher den hübschen Band: The Sleeper and the Spindle. In Zusammenarbeit mit Chris Riddell. Und siehe da, auch Interworld aus 2009 bietet mir gleich mal einen Aha-Moment. Das Cover stammt von eben jenem Illustrator. Leider gibt es keine weiteren Bilder zu sehen, aber dafür schönes Spiel mit Größe und Schrift. Wie zum Beispiel eine halbe schwarze Seite oder in Kapitälchen ausgezeichnete Worte beim großen ICH und beim kleinen ich. Das klingt schon mal alles ganz konfus und ist es auch, denn das Leben von Joey beginnt zwar in der amerikanischen Schule, bezieht sich auf den enervierenden Soziologie-Unterricht aber wird dann ordentlich aus dem Ruder gerissen. Statt Prolog haben wir zwei Interloge - findet man auch nicht alle Tage und zusammen mit einer Serifenlosen Schrift, die mein Auge freut, befinde ich hiermit das Häppchen Lesestoff als herausragend gelungen formatiert. Bitte mehr davon!

So ein hoch gelobter Autor wie Gaiman, der gerade eben erst einen weiteren Preis im Bereich International-DPP für: "Der Ozean am Ende der Straße" eingeheimst hat, muss Qualität abliefern, daher genießt man so etwas lieber mit ein wenig Vorsicht. Unvorbelastet kann man jedenfalls kaum in die Lektüre starten. Dennoch ist nach 5 Kapiteln schon klar, dass man es hier mit viel Wortgewandtheit und geschickten Sätzen zu tun hat. Mir erschließt sich nur überhaupt nicht, was Michael Reaves als Co Autor zur Geschichte beigetragen hat.
 

„Aber das war nicht alles.
Nicht um mehrere Dezimalstellen vor dem Komma.“

Joey Harker also, ein Fünfzehnjähriger der sich in seinem eigenen Haus verläuft, hat letztes Jahr das allerallerdümmste gemacht. Er hat eine Mutprobe abgelegt und ist in einem Fass den örtlichen Wasserfall hinunter gepoltert. Rumms tot. Ja, also da schon, hier nicht. Hier war es einfach nur dumm und mit 4Stichen das Bein wieder heile. Woanders hat er die Mutprobe gar nicht erst angetreten. So ist das eben im ‚Altiversum‘ - uni kann ja jeder, aber bei Jedermann sind wir hier nicht, sondern bei Gaiman/ Reaves.

Perspektivisch halten wir uns die ganze Zeit über bei Joey auf, der jetzt das erste Mal unkontrolliert wandelt und bei Josephine reinplatzt und erkennt, dass seine Mom nicht seine Mom ist aber irgendwie doch. Leider hat er aber weder die Zeit darüber nachzudenken noch zu heulen, denn ein Mann in einem Trenchcoat mit Maske, stellt sich vor als Jay, taucht auf. Und das reicht ja noch nicht, kurz drauf werden die Beiden weiter gehetzt von den Binären unter Anführer: 01101. Und Jay verliert seinen Schutzbefohlenen an die Hexe, den Quallenmann und den Tätowierten, die sich mit einem Piratenschiff nebst Segeln und Holzplanken auf den Weg ins Dazwischen-Nirgendwo machen Richtung HEX (nicht zu verwechseln mit dem Überhaupt-Nirgendwo und dem normalen Dazwischen; wobei ich ganz klar gestehe, DAS Dazwischen gehört Anne McCaffreys Drachenreitern von Pern).
 

„Dies ist ein fiktionales Werk“

Kommt euch das auch alles hanebüchen vor, gar paradox? Glaubt mir, das ist es auch. Denn das ist eine Geschichte, wie ein Ritt in deinem eigenen Bett in die wilde Nacht. Und was auch immer die Autoren geraucht, getrunken oder anderweitig injiziert bekommen haben, es erinnert verblüffend an Gemälde von Dalí. Oder wie Joey es beschreibt: Eine Mischung aus Dalí, Pollock und Picasso. Darüber hinaus kann man hier Farben hören, Geschmacksrichtungen sehen und mit Katzengroßen Amöben in Seifenblasenform ‚farbisch‘ sprechen. Wenn euch das alles noch nicht reicht um euch dieses Buch anzutun, weiß ich’s auch nicht! Besser kann man es nicht machen.
„Ich stand auf einem Felsbrocken, der sich anfühlte, wie frischer Oregano riecht, (…).“

 

Fazit:

Alles Wesentliche und Positive habe ich benannt. Daher möchte ich mich im Fazit (eher unüblich, da man hier wohl eine Zusammenfassung erwartet) auf das Nachwort beziehen. Es ist ein kleiner erklärender Gruß der Autoren an die Leser. In dem sie erläutern, dass Michael seines Zeichens die Computer und die Technik beigesteuert hat. Ja, das hatte ich mir schon fast gedacht, korrigiert mich bitte wer, wenn ich mich irre, aber ich habe zu keinem Zeitpunkt die Arbeit zweier Autoren aus diesem Werk heraus lesen können. Das kann gut sein, das kann schlecht sein - das lasse ich dahin gestellt. Das Duo entschuldigt sich in diesem Statement, so kommt es zumindest bei mir an, dafür, dass dieses Buch eine uralte Idee beinhaltet (1995) die kein „Fernsehverantwortlicher“ haben wollte. Aus gutem Grund. Denn das ganze Buch, trotz herausragender schriftstellerischer Finesse, ist nicht mehr als ein sehr ausführliches Exposee.

Ernsthaft, es malt den Pilotfilm zu einer echt kuriosen Serie, wegen meiner auch einer hübschen Romantrilogie, in der dieses Werk den Platz eines Vorspanns einnehmen könnte. Ich denke sogar, die Schriftart, die recht großzügig ist, sowie diverse Blankoseiten zwischen den Kapiteln, damit ein Neues auch ja brav immer auf der rechten Seite beginnen kann, haben der Übersichtlichkeit zwar gut getan, aber alles in allem das Werk ein wenig künstlich aufgebläht.
Positiv möchte ich anfügen, dass der Klappentext in Abhängigkeit zur Handlung sehr gelungen ist und wirklich überhaupt nichts von dem Preis gibt, was einen erwartet. GUT so.
Daher würde ich dieses Buch neben „Per Anhalter durch die Galaxis“ einsortieren und darauf warten, dass sich irgendwer ein Herz fasst und es verfilmt, macht’s halt zur Not nen Anime draus! Vielversprechendes Potential ist zur Genüge vorhanden. Aber als ‚Roman‘ - nein. Eine Geschichte … ja. Und sie ist zu schade um in der im Nachwort angesprochenen Versenkung zu vermodern.

Das Urteil: ___________________