Rezension

Am Ende einfach nur realitätsfern

Choral des Todes - Jean-Christophe Grangé

Choral des Todes
von Jean-Christophe Grangé

Bewertet mit 3 Sternen

"Choral des Todes" ist der erste Thriller aus der Feder von Jean-Christophe Grangé, der es in meine Hände geschafft hat. Leider hat es mich nicht so überzeugt, wie ich es erhofft hatte.

Zum Inhalt: Der aus Chile stammende Organist und Chorleiter Wilhelm Götz wird in einer armenischen Kirche in Paris ermordet aufgefunden. Mitglied dieser armenischen Krichengemeinde und durch seine Arbeit dort als erster am Tatort ist der pensionierte Kommissar Lionel Kasdan, der sofort beschließt die Ermittlungen auf eigene Faust durchzuführen. Das gleiche beschließt unabhängig von Kasdan auch der eigentlich beurlaubte, sich im kalten Drogenentzug befindende Hauptmann Cedric Volokine vom Jugendschutzdezernat. Es dauert nicht lange und ein zweiter Mord wird entdeckt: Götz war homosexuell und sein Liebhaber wurde unter ähnlichen Bedingungen getötet wie er selbst - und auch er bleibt nicht der letzte...

Ein großes Problem hatte ich bei diesem Thriller mit den Ermittlern. Kasdan war am Anfang schrecklich unsympathisch: ein rassistischer Homophober, der dazu noch seit vierzig Jahren täglich Antidepressiva und Neuroleptika schluckt, aber dennoch mit 63 (oder auch 60, die Angaben schwanken leider innerhalb weniger Seiten) Lenzen auf dem Buckel durchtrainiert ist bis zum Äußersten und, selbst wenn er "am Ende seiner Kräfte und außer Atem" war und "die Adern in seinem Kopf pochten und seine Lungen brannten", erlaubte er sich "am Rand der Ohnmacht" doch "noch einen kleinen ästhetischen Vergleich", in welchem er den sich bietenden Anblick mit dem Bild eines italienischen Malers verglich (S. 37). Bedauerlicherweise kenne ich den Maler nicht und das Bild bleibt ungenannt, aber Kasdan stellt ständig solche nichtssagenden Analogien her, deren Sinn sich mir als Leser leider nicht erschlossen hat.

Nummer Zwei im Ermittler-Traum-Duo ist der deutlich jüngere Volokine, von dem der Leser am Anfang erfährt, dass er gerade mit Ohnmachtsanfällen und Erbrechen den zweiten Tag seines kalten Entzugs überstanden hat - und dann am nächsten Tag fröhlich mit Ermittlungen beschäftigt durch Paris wandelt und einfach mal beschließt, bis zum Abschluss des Falls kein Heroin mehr zu spritzen. Sehr glaubhaft.

Natürlich treffen die beiden Ermittler irgendwann aufeinander und schließen sich zusammen. Da fängt für mich erst der gute Teil des Thrillers an.
Der Anfang - ungefähr die ersten 100 Seiten - war nämlich für mich sehr holprig. Kasdans Motivation, die Ermittlungen an sich zu reißen und dabei gleichzeitig den "richtigen" Ermittler, den aktiven Polizisten mit Team und Möglichkeiten, bewusst zu sabotieren, obwohl er sich mehrfach eingesteht, dass ihm zu vernünftigen Untersuchungen die Mittel fehlen, war für mich nicht glaubhaft. So bestehen die Ermittlungen zu Beginn hauptsächlich aus telefonischem Vitamin-B und absurden Geistesblitzen, wie der Idee, dass eine CD mit Aufnahmen eines Knabenchors in der Musikanlage des Leiters mehrerer Knabenchöre "ein Schlüssel zur Aufklärung dieses Mordes" (S. 53) darstellen könnte.
Als nach diesem paradoxen CD-Fund dann die Spannung leicht anzog, wird sie auch fast sofort wieder unterbrochen, indem beide Ermittler beschließen sich über den jeweils anderen erstmal ausgiebigst zu informieren. Der Autor nutzt dies tatsächlich, um den Leser mit unnützen Hintergrundinformationen nur so zu überschütten und gehörig zu langweilen.

Nach diesen eher ernüchternden ersten 100 Seiten wurde der Thriller dann aber wirklich stark, spannend, packend und interessant - absolut lesenswert und gut geschrieben. Die Ermittlungen gewinnen nicht nur an Rasanz, sondern auch an Abwechslung und Glaubhaftigkeit. Nur hier konnte ich wirklich in einem Rutsch durchlesen, ohne das Buch immer wieder kopfschüttelnd beiseite zu legen.

Die letzen 100 Seiten fallen dann wieder auf das Niveau der ersten 100 zurück - oder besser: noch darunter. Das von vornherein konstruiert wirkende Ermittlerteam verlor für mich auch das letzte Bisschen an Glaubwürdigkeit und auch die Aufklärung der Morde wurde immer absurder. Ein wenig Konstruktion lasse ich mir bei einem Thriller oder Krimi für gewöhnlich problemlos gefallen, aber hier wurde einfach übertrieben und so ließ mich das Ende frustriert zurück.

Also, mein Fazit: Leider hat es mich nicht umgehauen. Der Mittelteil ist stark, der Anfang eher schwach, das Ermittlerduo von Beginn an leicht konstruiert, das Ende über alle Maßen zusammengesponnen und realitätsfern. Insgeamt maximal mittelmäßig.