Am meisten Tiefe besitzt der Titel
Eigentlich weiß man gar nicht so recht, wo man den Finger in die Wunde legen soll. Denn wenn man nicht zu sehr über die einzelnen Handlungsmomente nachdenkt, dann hält man einen Roman in den Händen, der funktioniert. Er liest sich leicht, man wird emotional abgeholt, freut und leidet und fühlt mit Greta, man durchschaut vielleicht recht früh die lebensveränderte Wendung, aber als Leser wartet man dennoch gespannt auf den Moment, wann und wie diese Wendung im Roman umgesetzt wird. Unter anderem die eingestreuten Songs lassen einen an eine Zeit denken, in der die Musik noch ein bisschen echter war. Und wirklich beeindruckend ist das Wissen, dass über die mühsame, aufopferungsvolle Winzerarbeit eingestreut wird (zumindest aus der Sicht eines Laien). Und dennoch … Wenn man anfängt, den einen oder anderen Handlungsmoment herauszupicken und auseinanderzunehmen, dann bleibt nur sehr viel Frustration übrig.
Einen großen Teil dazu tragen gerade die zeitgeschichtlichen Ereignisse und Besonderheiten bei, die wie mit dem Holzhammer dem Leser vor den Kopf geknallt werden, damit dieser auch ja nicht vergisst, dass die Handlung in den 70ern spielt. Denn Greta passt nicht in diese Zeit, sie ist ein Produkt der Autorinnen, die ihre Kindheit vielleicht in den 70ern zubrachten, aber schon in der jungen Greta alles verarbeiten und einfließen lassen, was sich jetzt, in den letzten Jahren rund um Gleichberechtigung und Co. getan hat. Sie entwerfen Greta als geradezu ideale Protagonistin für eine Emanzipierungsgeschichte, bei der man sich allzu schnell denkt: Das ist ein bisschen zu schön und zu viel, um wahr zu sein. Denn ihr fehlt dabei die Tiefe, ihr fehlen Fehler, Widersprüche, die jeden Menschen ausmachen, selbst wenn man klaren Prinzipien folgt. Man glaubt ihr nicht. Und auch das Figurenensemble, das sie umgibt und in dem die einzige tatsächlich emanzipierte Frau sich diese Freiheit auf Kosten ihres persönlichen Glücks erkaufte, im Zweifelsfall auf unlautere Mittel zurückgreifen muss und am Ende gescheitert in das Elternhaus zurückkehrt, lässt einen ein bisschen zweifelnd zurück. Was wollten die Autorinnen eigentlich? Denn am Ende fragt man sich, was war eigentlich frustrierender: die eindimensional dargestellten Frauen oder die undifferenzierten Männerbilder.
Frustrierend war auch der Titel, der einen ein Erbe verspricht, das letztlich gar nicht Teil des Romans ist. – Dachte ich zumindest! Berücksichtigt man Gretas sowohl erarbeitete wie auch intuitive Begabung als Winzerin und dass ein Erbe nicht immer ein Materielles sein muss, dann ist der Titel mehr als passend. Hier versteckt sich eine Bedeutungsvielfalt, die mich ein bisschen milde und versöhnlich gestimmt hat.
Unterm Strich gilt aber: Das ist nur meine persönliche Meinung und vielleicht bin ich manchmal auch zu streng, bei anderen Romanen bin ich manchmal bestimmt nachsichtiger. Hier sind mir insbesondere die Figuren sauer aufgestoßen, sodass ich mich nicht in den Roman fallen lassen konnte.
Wer kurzweilig unterhalten werden will, der ist mit diesem Roman als leichte Sommerlektüre bestens bedient: Es gibt eine romantische, herzzerreißende Liebesgeschichte, himmelschreiende Ungerechtigkeit, ein bisschen Drama und jede Menge Optimismus. Wer auf eine differenzierte Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau in den frühen 70ern hofft, der wird mit viel Schwarz-weiß-Denken leider enttäuscht. Deswegen nur 2 von 5 Sternen.