Rezension

An alles gedacht

Schneewittchen und die Kunst des Tötens - Luci van Org

Schneewittchen und die Kunst des Tötens
von Luci van Org

Bewertet mit 5 Sternen

„Dann ist BDSM wie... Fussball?“

Das Schneewittchen-Märchen
Das Mädchen mit Lippen so Rot wie Blut, Haut so Weiß wie Schnee und Schwarzhaarig wie Ebenholz wird drangsaliert von der bösen Stiefmutter (jene mit dem „Spieglein, Spieglein an der Wand“).
Dann geht das ja so weiter: die Königin beauftragt den Jäger das Mädchen zu töten. Der aber schießt lieber ein Tier und bringt das Herz zur Königin. Das unschuldige Mädchen flieht und landet bei den sieben Zwergen (Das waren die mit: „Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?“), die sie aufnehmen. Als die Königin das erfährt, wird sie zur Hexe und versucht das Kind umzubringen mittels verschiedener Tricks.
Am Ende fällt das Opfer mit dem Apfelschnitz im Hals in Ohnmacht und die Zwerge stellen sie im Glassarg aus, bis der Prinz kommt. Beim Happily Ever After muss die böse Königin in glühenden Pantoffeln bis zum Tod tanzen. (Und nur so geht das Märchen wirklich aus!)

Was hat jetzt Luci van Org daraus gemacht?
So leid es mir tut, das kann ich euch unmöglich verraten! Denn das Büchlein ist zu kurz. Ich kann euch nur sagen: Es gibt den Sarg, in dem das Mädchen mit der weißen Haut liegt. Es gibt jenigen welchen, der sie weckt. Es gibt jenigen welchen, der ihre Lippen so Rot wie Blut macht! Und es gibt jenige welche, die ihr Leben unlebenswert macht. Schließlich gibt es den Apfel, Dildos, Peitschen, Heizungsrohre, Skizzenblöcke, Rollkoffer und allerlei andere Dinge die mit dem Originalmärchen übereinstimmen. An den Ablauf des Märchen hält sich dies jedoch nicht so ganz.
 

„Denn es war einmal mitten im Winter
und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab.“

Denn Nina wohnt schon in der WG der sieben Live and Action Role Playing Gamer. Der junge Herr Jäger hat ein paar zu viele fragwürdige Pornos geschaut und ist ganz gut dabei seinen sexuellen Trieben ein paar neue Farbkombinationen zu verleihen. Den Prinzen, ohne weißes Ross, finden wir in Form von (Dr. med. Enders) Maél - was übersetzt tatsächlich ‚Prinz‘ heißt. Nach einem Ausflug in den örtlichen SM-Club lässt Nina Witte (-chen) ihren Begleiter stehen, der ihr soeben seine Liebe gestanden hat, nachdem er ihr die ungewässerten Rohrstöcke auf den Hintern gezimmert hat und „Shades of Grey“ für den größten Murks der Literaturgeschichte hält. Danke an der Stelle. Als nächstes wird Nina tot aufgefunden und die Kunst des Tötens erreicht eine dritte Schaffensperiode. Und das obwohl der 40. Mord einfach nicht vollkommen wird.

Es war selten so schön einem Mörder bei seiner Arbeit zuzusehen. Während der Leser nämlich Ivo begleiten darf in der Ich-Perspektive, stellt die Autorin den Serienmörder aus der distanzierteren dritten Person dar. Das Abwechseln der beiden Sichtweisen ergibt ein hervorragendes Zusammenspiel. Viele der wiedererkennbaren Elemente des Originalmärchens sind offensichtlich, nach ein paar anderen muss man wirklich suchen. Zum Beispiel den berühmten Spiegel der Königin, den ich meine in der Kamera zu erkennen. Sprich in den Fernsehauftritten der TV-Koch-Königin Regina.

„Das Balzverhalten der Sandhaie vor der Paarung.“

Daneben gibt es viel Komik im Bereich der nerdigen Seitenhiebe, besonders auch gen Ende beim Kommissar. Drama in den Gefühlswelten und Tragik in den Herleitungen der einzelnen Charakterzügen. Da kann man sagen: das Buch macht alles richtig. Die Charaktere stimmen, die Handlung ist interessant und spannend, die Auflösung hervorragend pointiert. Gruselig war es dann aber doch im Kopf des Killers oftmals erinnernd an einen gewissen „Dexter“ und dessen „dunklen Begleiter“. Diese Figur aber hat viel Tiefe verabreicht bekommen und macht aus seinem üblen Treiben eine wahre Kunst des Homo Superior, oder wie er es sagt: Mensch 2.0.

Ein Wort zur Verarbeitung des Buches. Wie schon Olga A. Krouks „Ewiglich Dornröchschen… Kiss my ass“ ist es optisch super abgestimmt. Schwarz, elegant und schlicht, mit der hübschen kleinen Wappen-Grafik aufgewertet. Leider aber, ist das Buch schon nach 5maligem in die Hand nehmen an seine Grenzen gestoßen und die Beschichtung der Einbandpappe ribbelt sich auf. Davon abgesehen hoffe ich, dass U-Line noch mehr Titel in dieser 'Serie' herausbringen wird.
 

Fazit:

Amüsant und gleichzeitig erschreckend, interessant und zudem knapp auf den Punkt gebracht. Was will man da mehr? Genau die Art Märchenadaption die mir besonders gut schmeckt. Ich habe NICHTS zu beanstanden.
Diese Geschichte ist der pure Genuß gewesen. Kratzt an der Grenze zum ‚Pfui‘ aber ist zu keiner Zeit platt, vulgär oder gar belästigend oder pornografisch. Ganz im Gegenteil, die meisten Chars vermitteln glaubhafte, ehrliche und menschliche Züge. Wiedererkennen muss man sich in ihnen nicht, kann man aber machen.

Zum Urteil hören wir uns die akustische Untermalung des Künstlers an: „Leonard Cohens: Halleluja“.