Rezension

An den Haaren herbeigezogenes Szenario!

Vollendet - Neal Shusterman

Vollendet
von Neal Shusterman

Jedes Kind hat das Recht zu leben, Abtreibung wurde verboten. Stattdessen kann man seine ungewollten Kinder ab dem 13. Lebensjahr zur Umwandlung zur Verfügung stellen, ein Verfahren, bei dem jedes einzelne Teil des Kindes als Organspende in einem anderen Körper weiterlebt. Connor, Risa und Lev blüht dieses Schicksal. Die drei haben nichts gemeinsam, aber letztendlich ist es ihre Flucht vor dem System, die sie zusammenschweißt. Denn lebst du wirklich noch, wenn alle deine Körperteile in jemand anderem "leben"? Oder bist du nicht doch tot?

Die meisten Meinungen, die man zu Neal Shustermans Dystopie lesen kann, fallen überwiegend positiv aus. Alle sind begeistert von den schonungslosen Ideen des Autors. Deshalb war ich aufgrund der eher nicht so erfreuten Rezension meiner besten Freundin doppelt und dreifach gespannt auf dieses Buch, da wir oft einer Meinung sind.

Und so kam es dann auch, denn "Vollendet" dient mit einem urealistischen Szenario der Zukunft, das meiner Meinung nach niemals so eintreffen wird!

Der Umschwung der Gesellschaft wird nämlich in diesem Buch durch einen Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten herbeigerufen, in dem sich die Bevölkerung in zwei Lager spaltete: Befürworter und Gegner der Abtreibung.
Das erscheint mir schon an den Haaren herbeigezogen. Klar, die Kirche macht immer wieder ihre Meinung deutlich, dass sie gegen das Abtreiben ist, da jedes Leben von Gott gewollt ist, aber das diese Debatte sich zu einem waschechten Bürgerkrieg entwickeln könnte, halte ich für mehr als unwahrscheinlich, vor allem da die Kirche mittlerweile ja sogar zu Kompromissen bereit ist, wenn beispielweise Vergewaltigungsopfer betroffen sind.

Die Lösung, auf die sich die beiden Parteien dann aber einigen um den furchtbaren Krieg zu beenden, ist aber echt die Höhe der Absurdität!
Man führt die sogenannte Umwandlung ein.
Kinder dürfen nicht mehr abgetrieben werden, sondern können ihre Eltern erst ab deren 13. Lebensjahr entscheiden, ob sie sie für die vollkommene Organspende opfern möchten. Das heißt, dass ungewollte Kinder sozusagen nachträglich abgetrieben werden können.
Und es kann mir doch keiner sagen, dass dieses Ergebnis im Interesse der beiden Seiten ist!

Zwar wird von der Regierung behauptet, dass die Umwandlung kein Mord ist, da deine gespendeten Körperteile ja in den Empfängern weiterleben und somit Großes vollbringen, aber diese Argumentation ist so dämlich, dass ich nur lachen konnte! Welcher gläubige Kirchenangehöriger ist denn bitte GEGEN Abtreibung aber dafür FÜR Mord auf schrecklichste Art und Weise?!
Eben. Niemand, der sich als gläubiger Mensch bezeichnet und sagt, dass jeder das Recht zu leben hat.

Und auch für die Befürworter der Abtreibung kann das doch kein zufriedenstellender Ausgang des Krieges sein, denn ich halte es für einen großen Unterschied, wenn man ein noch nicht fühlendes, klitzekleines Wesen "umbringt" oder ein 13-jähriges Kind, das auf der Schwelle zum Erwachsenen steht.

Fairerweise muss ich Neal Shusterman aber die tolle Ausarbeitung seiner drei Protagonisten lassen.
Connor, Risa und Lev sind so verschieden und natürlich konnte ich sie nicht immer leiden, aber sie wirkten aufgrund ihrer Lebensgeschichten immer absolut authentisch. 
Connor wird beispielsweise von seinen Eltern nur zur Umwandlung freigegeben, da er sehr jähzornig und aggressiv ist und sie nicht mehr mit ihm umzugehen wussten. Diese Wut und Unbeherrschtheit zeigt sich an ihm immer wieder im Laufe der Handlung und das war zwar nicht immer hilfreich, aber ließ ihn definitiv sehr realistisch wirken.

Risa dagegen ist ein Wandler, weil der Staat kein Geld hat, um die zahlreichen Waisenkinder durchzufüttern. Sie mochte ich besonders gern, warum weiß ich gar nicht so genau, aber sie war mir jedenfalls vom ersten Moment an sympathisch.

Lev, der letzte in der Reihe, hat die wohl am interessanteste Geschichte: Er ist ein sogenanntes Zehntopfer. Seine Eltern sind sehr religiöse Menschen und haben beschlossen ihr zehntes Kind zur Umwandlung freizugeben. Lev wurde sein Leben lang eingetrichtert, dass dieses Schicksal eine große Ehre und er etwas Besonderes ist und so geht einem seine Naivität und sein Unverständis über die Schlechtheit der Umwandlung zwar auf die Nerven, aber es passt natürlich perfekt zu ihm, da er ja nie eine andere Ansicht kennenlernte.

Desweiteren ist auch noch die ungeheure Spannung in "Vollendet" zu loben, die besonders durch Neal Shustermans Schreibstil hervorgehoben wird, der dafür sorgte, dass ich das Buch trotz des hirnrissigen Szenarios in zwei Tagen verschlungen hatte.

Fazit

Auch wenn mir die Idee von "Vollendet", wie es zu dem System kam, nicht gefallen hat bzw. mir aus oben genannten Gründen vollkommen unverständlich ist und mir sozusagen die realistische Möglichkeit für unsere Welt fehlt, konnten mich die Charaktere, der Stil und das Ende doch überzeugen. So gibt es 2 Rosen für dieses Buch.