Rezension

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Anders als erwartet

Der Buchspazierer -

Der Buchspazierer
von Carsten Henn

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ein gutes Buch muss man im Bett so lange lesen, bis einem die Augen zufallen. Man muss an mindestens drei, besser vier Stellen weinen. Es muss mindestens dreihundert, aber nicht mehr als dreihundertachtzig Seiten haben. Und der Umschlag darf nicht grün sein. Die sind Ursel Schäfers Kriteriern für ein gutes Buch. Doch wer ist Ursel Schäfer? Und kann Carsten Henns Der Buchspazierer diese Kriterien erfüllen?

Der Roman beginnt an einem Spätsommertag in einer Buchhandlung mit Ursel Schäfer und ihren Erwartungen an ein gutes Buch. Die Buchhändlerin, Sabine Gruber, die den Laden von ihrem Vater übernommen hat, weiß nicht von diesen speziellen Vorstellungen der Kundin und kann diesen so nicht gerecht werden. Aber der Einstieg ist auch mehr dazu da, um Carl Kollhoff einzuführen. Dieser alte, leicht kauzige Herr kennt Bücher und Kunden wie seine Westen-... pardon: Latzhosentasche und trägt abends Buchbestellungen aus. Ab jetzt geht es um Carl, die Bücher und die Kunden. Ursel Schäfer treffen wir nicht wieder und das ist vielleicht auch gut so, denn schließlich wäre Der Buchspazierer in ihren Augen kein gutes Buch: zu wenig Seiten, grüner Umschlag, weinen musste ich nicht und konnte es abends auch guten Gewissens zur Seite legen.

Carl Kollhoff trägt also jeden Abend Bücher zu besonders extravaganten Menschen, denen er literarische Namen gibt. So bringt er Effi Briest immer wieder traurige Bücher, während er Mr. Darcy mit Philosophischem versorgt. Wir lernen seine Routine und die Menschen langsam kennen, als sich gerade diese Routine plötzlich ändert. Schascha, ein neunjähriges Mädchen, tritt auf einmal in Carls Abendspaziergang und lässt sich nicht davon abbringen, ihn zu begleiten. Durch ihre Augen lernen wir fortan Carls Kunden kennen. Schascha weiß, was sie will und wie sie es erreicht und ist dabei abwechselnd klug und geistreich, aber auch frech und ungehorsam. Sie möchte Veränderung bewirken und beginnt, den Leuten zusätzlich andere Bücher zu schenken. Nicht solche, die sie erwarten, lesen und bestellen, sondern welche, die diese Menschen wirklich brauchen.

Soweit plätschert der Roman vor sich hin und ist ein nettes Büchlein über die Liebe zu Büchern. Dann kommt es jedoch immer mal wieder anders: Carl verliert  seinen Mentor, den früheren Besitzer der Buchhandlung. Mit dessen Tochter, die die Buchhandlung übernimmt, versteht er sich nicht (oder versteht nur sie ihn nicht?) und so wird er einerseits von der Beerdigung ausgeschlossen und droht im Anschluss daran auch seinen Job zu verlieren. Ehrliche Aussprachen passieren nicht, stattdessen verstecken sich beide hinter Floskeln. Darüber hinaus beginnen Carl und Schascha, ihren Kunden nicht nur die besseren Bücher zu bringen, sondern auch anderweitig deren Leben zu verbessern, bis Schascha dafür die Schule schwänzt, erwischt wird und von ihrem Vater das Verbot bekommt, Carl weiter zu begleiten. Und Carl verliert seinen Job endgültig. Doch auch nun geht es mit Unaufrichtigkeit weiter.

Carl bringt es nicht übers Herz, seinen Stammkunden die Wahrheit zu sagen und verkauft stattdessen nach und nach seine eigenen Bücher, um vom Erlös weiter Bücher kaufen und austragen zu können (während die Kunden jedoch unwissend weiter Geld an die Buchhandlung zahlen?). Verwundert über die Abwesenheit Schaschas, sucht Carl alle Schulen der Stadt nach ihr ab, erregt dabei viel Aufsehen, findet sie schließlich und die beiden ziehen weiter (fortan heimlich!) ihre Runden. Was schiefgehen kann, geht natürlich auch schief: Schaschas Vater bekommt mit, dass seine Tochter seine Verbote ignoriert und sich weiter mit dem alten Buchspaziergänger trifft. Statt Verständnis und Fürsorge zu zeigen, schmeißt er ihre Bücher aus dem Fenster, lauert Carl auf und stößt ihn in einem Handgemenge auf das Kopfsteinpflaster. Carl wacht im Krankenhaus auf, verletzt und einsam. Es wird davon ausgegangen, dass der alte Mann gestolpert sei, keiner weiß oder erfährt von dem eigentlichen Vorfall. Keiner besucht Carl. Als er entlassen wird, kehrt er einsam nach Hause zurück, wo nicht einmal seine Bücher auf ihn warten. Dort gerät er in eine Abwärtsspirale. Kann er in den letzten zwanzig Romanseiten daraus noch gerettet werden? Vielleicht.

 

Mir gefiel die Grundidee des Buches. Und Bücher über die Liebe zu Büchern (man denke an Die souveräne Leserin) sind oft ein schöner Zeitverteib für Buchliebhaber. Von der Umsetzung wurde ich hier dann nicht überzeugt. Es werden viele Geschichten und Schicksale angerissen und dann doch nicht weiter verfolgt. Es gibt viele schöne Zitate und Stellen, die man sich markieren oder merken sollte, die mich persönlich aber über die Schwächen des Buches nicht hinwegtrösten konnten. Einiges ist vorhersehbar und wenig überraschend, anderes hingegen wirkt furchtbar konstruiert und absurd, oft fehlt der plausible Mittelweg. Die Lösung für viele konkrete kleine und große Probleme wäre Kommunikation und eine ehrliche Aussprache auf Augenhöhe, aber daran scheitert es leider durchgehend. Das mag natürlich aus dem echten Leben gegriffen sein, gerade für ein seichtes Büchlein über Bücher wäre es aber so zu wünschen gewesen. So passt das Buch für mich leider nicht so richtig: zu oberflächlich, leicht und klischeebehaftet für einen Roman mit ernsten Themen, zu schwerwiegend, zu dunkel und zu unfertig für ein leichtes Büchlein.