Rezension

Anders als erwartet, aber gut.

Miroloi - Karen Köhler

Miroloi
von Karen Köhler

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman entführt auf eine abgelegene Insel im Meer, auf der die Neuzeit noch nicht einziehen konnte. Hannah Arendts Aussage "Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen" gibt die Richtung vor - denn die namenlose Protagonistin ist eine der wenigen, die sich daran hält. Keiner weiß (bzw. keiner sagt) wer ihre Eltern sind, ausgesetzt in einem Karton am Bethaus, aufgezogen vom Bethaus-Vater.
Im Dorf gelten die alten Regeln - Männer haben das Sagen, Frauen dürfen nicht lesen (lernen), die Traditionen und Gesetze sind heilig und werden vom Ältestenrat überwacht. Die Strafen sind drastisch - Pranger, sogar Tod. Nur einmal im Jahr kommt ein Arzt auf die Insel, nur wenig öfter der Kaufmann, der so ziemlich den einzigen Kontakt zur Außenwelt darstellt und manchmal auch Neuerungen mitbringt, die selten auch bleiben dürfen.

Aber zum Glück für die Protagonistin steht der Bethaus-Vater über den Traditionen - und bringt ihr Lesen bei. Nur einmal erwacht, findet sie in das alte, gehorsame Leben nicht mehr zurück. Und als dann der Bethaus-Vater stirbt und die mütterliche Freundin Mariah nach Beinbruch im Bett liegt bleibt nur noch der wortkarge Müller als Zuflucht.

Ein Roman, der mich inhaltlich gefordert hat, der aber gleichzeitg sprachlich so schön ist, dass ich weiterlesen musste. Und schließlich wollte ich auch wissen, ob die Protagonistin es schaffen wird, aus der Enge der Insel auszubrechen - denn nach dem Sündenfall der Erkenntnis ist einfach nichts mehr wie vorher. Oder wird sie sich selbst ihr Miroloi singen - eine Art Totenklage?

Karen Köhler schafft es durch die Erfindung eigener Worte, wie Miroloi, oder Khorabel (das heilige Buch) oder Domates (Früchte), den Roman zeitlos erscheinen zu lassen, und doch bleiben die Assoziation zu existierenden Begriffen.

Klare Leseempfehlung - und der Wunsch, in einem zweiten Band der Protagonistin nocheinmal begegnen zu können.