Rezension

Anders als erwartet, aber trotzdem ein Traum

Silber - Das erste Buch der Träume
von Kerstin Gier

Bewertet mit 4 Sternen

Umzüge sind die fünfzehnjährige Olivia Silber, genannt Liv, und ihre kleine Schwester Mia gewöhnt. Diesmal kommt jedoch alles anders als erwartet. Schon als sie auf dem Flughafen vom neuen Freund ihrer Mutter abgeholt werden, können sich die beiden denken, dass es eine Planänderung gab. Eigentlich wollten sie zusammen mit ihrer Mutter, dem Kindermädchen Lottie und ihrem Hund Buttercup in ein kleines, gemütliches Cottage auf dem Land nicht weit entfernt von Oxford ziehen, und dort endlich sesshaft werden. Doch nun geht es stattdessen zur Zwischenmiete in eine Londoner Stadtwohnung. Alles andere, als das erhoffte neue Leben. Vor allem, als sich dann auch noch herausstellt, dass sie zum neuen Freund ihrer Mutter und dessen Kindern ziehen sollen. Aber damit noch nicht genug. Kaum in London angekommen, beginnt Liv merkwürdige Dinge zu träumen. Zugegeben lebhafte Träume hatte Liv schon immer, und auch luzides (also bewusstes) Träumen ist ihr nicht unbekannt. Doch diese Träume sind anders als früher. Unheimlicher, und vor allem unerklärlicher. So begegnet sie im Traum Grayson, ihrem neuen Stiefbruder, und dessen drei besten Freunden auf einem dunklen Friedhof bei einem merkwürdigen Ritual. Doch wirklich eigenartig ist die Tatsache, dass sie im Traum Einzelheiten kennt, die sie gar nicht wissen dürfte und noch viel seltsamer ist es, dass die vier Jungen im realen Leben Dinge über Liv zu wissen scheinen, die sie nur im Traum offenbart hat. Kann es sein, dass ihre Träume real sind? Aber wenn Liv eines liebt, dann sind dies merkwürdige Ereignisse und Geheimnisse. Und so versucht sie einen logischen Grund für die unerklärlichen Träume und Erlebnisse zu finden, und begibt sich immer tiefer in die Welt der Träume und ihren Bezug zur Wirklichkeit ohne Rücksicht auf die Gefahren, die damit verbunden zu sein scheinen.

Ich muss sagen, die Erwartungen die ich an die Handlung des Buches hatte, entsprechen nicht wirklich dessen wahrem Inhalt. Nach dem Lesen des Klappentextes und einiger kurzer Inhaltsangaben hatte ich irgendwie erwartet eine ähnliche Geschichte, wie in der Edelsteintrilogie vorzufinden. Also eine Heldin, die etwas unerwartet eine für sie bestimmte Aufgabe in einer anderen Welt zugedacht bekommt, in die sie dann hineinwachsen muss, um die Welt vor einer wie auch immer gearteten Gefahr zu schützen. Ganz grob betrachtet mag dies auch auf „Silber – Das erste Buch der Träume“ zutreffen, aber trotzdem hat mich die Handlung überrascht. Denn geht nicht die Gefahr von den Protagonisten selber aus? Oder gibt es hinter der äußeren Fassade doch noch eine manipulative, unsichtbare Macht, die die Fäden in der Hand hält?

Aber eine große Gemeinsamkeit haben die Edelsteintrilogie und die Silber-Reihe auf jeden Fall, und zwar die wunderbare Sprache mit der Kerstin Gier es schafft den Leser in ihre Traumwelt zu entführen. Ich habe bei ihrem bildlichen, leichten, humorvollen Schreibstil die erdachte Welt beim Lesen genauestens vor Augen und kann mich aus der Realität in Livs Erlebnisse entführen lassen. Natürlich ist es keine anspruchsvolle, literarische Sprache, aber ich finde sie für das Genre und den Inhalt absolut perfekt und angemessen. Am schönsten finde ich die Beschreibungen der Türen, die zu den Träumen der Menschen führen. Die Idee von Türen in eine neue Welt ist zwar nicht unbedingt neu, aber ich finde Kerstin Gier hat sie wirklich sehr liebevoll umgesetzt, indem jede Tür durch bestimmte Details perfekt zu dem jeweiligen Menschen passt, dessen Träume sie verbirgt: „Fasziniert betrachtete ich die unzähligen Türen. Wie Fenster in einem Adventskalender wirkten sie und genauso individuell, was Größe, Form und Farbe anging. Da gab es schlichte, weißgestrichene Zimmertüren, moderne Haustüren, und welche, die wie Lifttüren aussahen, ohne jeden Schnickschnack. Andere hätten auch Ladeneingänge sein können oder prunkvolle Portale zu Burgen und Schlössern.“ (S. 144). Ich habe richtig Lust bekommen mir meine eigene Traumtür auszumalen, ganz so wie von der Autorin in ihrem kurzen Nachwort gefordert, in dem sie sich direkt an den Leser wendet und ihn durch geschickte Fragen und Andeutungen neugierig auf den nächsten Teil macht. „P.S. Wie sieht eigentlich eure Traumtür aus? Meine ist im Moment schwarz und silbern mit roten Eulen und einer richtig gefährlichen Vampir- Eidechse als Türknauf :-)“ (S. 413). Meine stelle ich mir dunkelbau oder –grün gestrichen vor. Etwas verwittert und mit Efeu berankt. Und im Rahmen darüber eingraviert die Inschrift: „Lebe deinen Traum…“.
Etwas störend im Lesefluss sind vielleicht die Blogeinträge, die im Stil von Gossip Girl immer mal wieder am Ende eines Kapitels stehen und die neuesten Gerüchte der Schule zusammenfassen. Sie geben zwar geschickt Auskunft über zukünftige oder vergangene Ereignisse an denen Liv entweder nicht beteiligt war, und folglich auch nicht aus der Ich- Perspektive von ihnen hätte berichten können, oder die im Fleißtext zu lang geworden wären. Doch ich finde es wird auch viel erwähnt, was nicht unbedingt zum Verlauf der Geschichte gehört.

Mein Fazit: Ich denke, dass die Geschichte rund um Liv Silber jeden Fan der Edelsteintrilogie ebenfalls begeistern wird, sowie Leute, die gerne Fantasy Bücher für Jugendliche lesen. Doch anders als beispielsweise bei „Harry Potter“ (abgesehen davon, dass die Handlungen vollkommen unterschiedlich sind…), sollte dem Leser bewusst sein, dass sich das Buch wirklich hauptsächlich an Jugendliche richtet, was besonders auch sprachlich zur Geltung kommt. Ist einem dies egal, so ist "Silber - Das erste Buch der Träume" ein wunderbares Buch für zwischendurch, das den Leser in eine andere Welt entführt und Lust auf mehr macht.