Rezension

Angenehmer historischer Schmöker voller Hamburg-Flair

Die Villa an der Elbchaussee - Lena Johannson

Die Villa an der Elbchaussee
von Lena Johannson

Bewertet mit 4 Sternen

Die Villa an der Elbchaussee

„Angenehmer historischer Schmöker voller Hamburg-Flair “

 

Lena Johannson hat mit diesem Roman einen soliden Auftakt der Hannemann’schen Familiengeschichte erschaffen und entführt die Leser in das Hamburg der frühen 1920er Jahre.

Im Mittelpunkt der Handlung steht das junge Fräulein Friederike (kurz: Frieda) Hannemann, von ihrem Vater liebevoll "Sternchen" genannt – Tochter einer in Hamburg hoch angesehenen Kaufmannsfamilie, die mit Kakao handelt. Das Unternehmen Hannemann & Tietz soll eines Tages von Friedas älterem Bruder Hans übernommen werden, während von Frieda lediglich erwartet wird, dass sie sich vorteilhaft vermählt. Dennoch fördert ihr Vater Friedas kaufmännisches Interesse - schließlich soll sie sich später mit ihrem Gatten auf Augenhöhe unterhalten können. Viel lieber als eine Vorzeige-Ehefrau zu werden, würde Frieda allerdings weiterhin in der Schokoladenküche werkeln und neue Köstlichkeiten kreieren. Sie ahnt nicht, wie brisant die finanzielle Lage der Familie ist. Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten; der Krieg ist zwar vorbei, aber viele Menschen hungern. Das Importgeschäft unterliegt Handelsbeschränkungen und Hans, auf den solch große Hoffnungen für die Zukunft gesetzt wurden, kehrt als Kriegsinvalide heim. Nicht nur sein Körper hat Schaden genommen – der Krieg hat ihn, wie so viele junge Männer – dramatisch verändert und schwere psychische Wunden hinterlassen, die aus dem einst vernünftigen, unbeschwerten Jungen einen verbitterten Mann gemacht haben. Auch Friedas beste Freundin Clara Mendel, eine Jüdin, mit deren Familie die Hannemanns seit Jahren befreundet sind, verhält sich eigenartig. Bald schon fühlt Frieda sich mit all ihren Sorgen völlig alleingelassen, erst recht, als auch noch ihr Vater schwer erkrankt. Von Mutter Rosemarie kann sie hinsichtlich der Ausrichtung des jährlichen Kakao-Dinners, dessen Erfolg überlebenswichtig für das Familienunternehmen ist, wenig Unterstützung erwarten: "Für Rosemarie Hannemann bestand ihr Lebenswerk darin, zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht zu haben, […] stets nach der neuesten Mode gekleidet zu sein und hübsch auszusehen." Dass die selbstbewusste Frieda ihren eigenen Kopf hat und sich störrisch weigert, das Denken den Männern zu überlassen, stört die Mutter gewaltig. Wenigstens auf ihren Freund aus Kindertagen kann Frieda sich verlassen – die Freude ist groß, als Ernst aus dem Krieg zurückkehrt. Und dann ist da auch noch der geheimnisvolle Herr Jensen, ein gutaussehender Fremder, der Frieda nicht mehr aus dem Kopf geht…

Der sehr angenehme Schreibstil hat mich vor allem mit der Vielzahl an dialektischen Elementen und den bildreichen, atmosphärischen Beschreibungen der Stadtviertel Hamburgs begeistert. Insbesondere für Kenner der Stadt wird dieser Roman viele Aha-Momente bieten; ein Stadtplan im Innencover des Buches sowie eine Auflistung alter und neuer Straßennamen im Anhang waren eine willkommene Ergänzung. Man erkundet zusammen mit Frieda den Hafen und die Speicherstadt, begegnet wohlhabenden Familien bei Geschäftsessen, aber auch der verarmten Arbeiterschaft in den Gängevierteln. Meine liebste Figur war mit Abstand Ulli (Ulrike), eine mittellose junge Frau, die verzweifelt versucht, finanziell für ihre kranke Mutter und ihre kleine taubstumme Schwester Marianne zu sorgen. Ulli hat zwar "Haare auf den Zähnen" und kann fluchen wie ein Kutscher, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und wird für Frieda eine verlässliche Freundin. Weniger authentisch erschien mir Friedas Freundschaft mit Clara, in der Geheimnisse, Missverständnisse und Feindseligkeiten dominieren; bei einer jahrelangen Freundschaft hätten beide Seiten sich eigentlich mehr umeinander bemühen und nicht gleich beleidigt sein sollen. Während des Lesens habe ich mich ernsthaft gefragt, wie die zwei Mädchen überhaupt miteinander ausgekommen sein sollen in der Vergangenheit. Diese angeblich innige Bindung habe ich ihnen nicht abkaufen können. Die Handlung des Werkes umspannt den Zeitraum der Jahre 1919 bis 1924; schon jetzt heizt sich die Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung immer mehr auf. Ich bin gespannt, wie es Claras Familie in der Zukunft ergehen wird.

Interessant fand ich, dass am Schicksal von Hans auch das emotionale Leid der Kriegsheimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg verdeutlicht wurde...und die daraus resultierenden Probleme für ihr Umfeld. Die traumatisierten Männer waren im Grunde völlig gesellschaftsunfähig, stürzten sich oft in Drogen und Alkoholeskapaden und verhielten sich eher rücksichtslos ihren Mitmenschen gegenüber. Ernst hingegen war ein kleiner Sonnenschein; er hat sich seinen Humor bewahrt und ich bewundere ihn für seine Geschäftstüchtigkeit und seinen Tatendrang. Ich bin mir sicher, dass er in den Folgewerken dieser Buchreihe gewiss seinen Weg gehen wird. Vielleicht sogar mit Frieda an seiner Seite?

Das Ende lässt erahnen, dass es weiterhin aufregend bleiben wird; Frieda hat in Herzensdingen eine Entscheidung getroffen, die viel Entwicklungsspielraum - positiv wie negativ - bietet. Auch die im Buchtitel genannte Villa findet erst gegen Ende des Romans eine Erwähnung und wird als neues Zuhause wohl die Ausgangslage für die Folgewerke bilden.

Fazit: Ein gut recherchierter historischer Roman, der speziell die damalige Rolle der Frau näher beleuchtet.