Rezension

Angie Kim schreibt sehr feinfühlig, sehr scharfsinnig und mit der richtigen Prise Spannung!

Miracle Creek - Angie Kim

Miracle Creek
von Angie Kim

Bewertet mit 4.5 Sternen

Gekonnt in Schriftform gesetzt entstehen aus Buchstaben auf Papier, Menschen mit Gefühlen die nicht unfehlbar sind, dafür umso realistischer

"Glaubte er, es sei schon genug passiert heute, und dass darum nicht noch mehr passieren konnte? Aber so läuft das Leben nicht. Eine Tragödie macht einen nicht immun gegen weitere Tragödien, und Schicksalsschläge werden nicht gerecht hier und da verteilt - mit Unglück wird klumpenweise, gebündelt nach einem geworfen, unkontrollierbar und chaotisch. Wie konnte er das nicht wissen, nach allem, was wir durchgemacht hatten." Seite 10

Elisabeth Ward steht vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen ein Feuer unter der Sauerstoffleitung der Druckluftkammer gelegt, und von langer Hand geplant zu haben, bei der ihr eigener Sohn und eine weitere Patientin ums Leben gekommen sind. Die Beweise stehen denkbar schlecht für Sie. Und für Mord steht in Virginia die Todesstrafe durch Giftspritze.

Ein Jahr nach der Tat finden wir uns als Leser*in im Gerichtssaal wieder. Während der vier Verhandlungstage lesen wir abwechselnd aus der Sicht der Angeklagten Elisabeth, des Druckluftkammerbesitzers Pak, seiner Frau Young, ihrer gemeinsamen Tochter Mary oder der Klienten Teresa und Matt sowie dessen Frau Janine. Ihre Gedankenwelt wird uns dadurch näher gebracht. Gleichzeitig sehen wir aber auch, wie sich so manches Lügenkonstrukt für den Selbstschutz aufgebaut wird. Wem dürfen wir trauen? Wem müssen wir Misstrauen? Eine Fehlentscheidung bedeutet hier den Tod eines Menschen...

Es tut weh, schmerzhaft weh, wenn man von Missverständnissen liest, von Fehlinterpretationen des gegenüber. Gekonnt in Schriftform gesetzt entstehen aus Buchstaben auf Papier, Menschen mit Gefühlen, die nicht unfehlbar sind, was sie umso menschlicher macht. So sah ich jede*n einzelne*n Protagonist*in plastisch vor mir. Durch diese Intensität der Autorin verstärkt sich das Leseerlebnis. Gleich schon auf den ersten Seiten bin ich durch das gelesene derart angespannt. Mein Herz pocht, ein beengendes Gefühl legt sich auf die Brust. Die ein oder andere Träne habe ich beim Lesen vergossen, an anderen Stellen erhöhte sich mein Herzschlag vor Spannung, ungläubig riss ich die Augen auf bei unerwarteten Stellen oder fühlte mich teilweise ebenso verunsichert über die Tatsache, wem man vertrauen kann. Oftmals wird die Wahrheit auf's grausamste ausgedehnt. Wie ein Stück Stoff, das mit beiden Händen in entgegengesetzte Richtungen gezerrt wird, dass nichts weiter übrig bleibt als unter dem Druck zu zerreißen.

"Wenn wir nichts falsch gemacht haben, warum können wir dann nicht die Wahrheit sagen?" Seite 140

Angie Kim schreibt sehr feinfühlig, sehr scharfsinnig und mit der richtigen Prise Spannung! Ihr ist eine Geschichte gelungen, die beim Lesen etwas auslöst. Ein Buch das man nicht am Stück durchlesen kann, um über verschiedenes nachzudenken. Es stellt sich unbequemen Tatsachen, verschleiert dabei nichts und lässt mich nach dem Lesen nachdenklich zurück.