Anleitung zum Unglücklichsein
Bewertet mit 2 Sternen
Vorab eine Triggerwarnung für alle Kasseler: Wollen Sie diesen Roman lesen, müssen Sie sehr stark sein. Die zentrale Figur des Romans ist die Mutter der Erzählerin, die mit ihrer Negativität und ihrer offenkundigen, wenn auch undiagnostizierten bipolaren Störung die Stimmung der Familie setzt. Diese Mutter ist eine erklärte Kassel-Verächterin.
„Niemand ist freiwillig in Kassel, lass dir das von mir gesagt sein. […] Diese Stadt lähmt die Leute, so wie manche Insekten, die ihren Opfern irgendein Gift spritzen. Sie sind dann noch am Leben, können sich aber nur noch ganz langsam bewegen, bevor sie qualvoll verenden.“
Aber bald ist klar: Sie hätte jede andere Stadt ebenso leidenschaftlich gehasst und für ihr Unglück verantwortlich gemacht. Worin aber besteht dieses Unglück? Angeblich ist es – neben Kassel - das selbst konzipierte und erbaute HAUS. Aber nach dem ersten Romandrittel weiß man, dass es keinen konkreten Grund dafür gibt. Zwar wird versucht, das Verhalten der Mutter psychologisch zu unterfüttern – in Kassel geboren, als Kind einsam und emotional verwahrlost, Glücksphase in Süddeutschland, dann zurück in das verletzende Ursprungsmilieu – aber das überzeugt nicht ganz.
Der ironisierende Erzählton ist dafür zu übersteuert und verhindert Mitgefühl. Dabei hat die durchaus gut dargestellte Lebensuntüchtigkeit etwas Tragisches, denn das daraus resultierende Unglück erscheint durchaus real. Jede:r von uns dürfte Menschen kennen, die niemals die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, sondern die Ursache allen Übels im Außen suchen. Ich fühlte mich an einen Sachbuchbestseller aus den 80ern erinnert, Paul Watzlawick, „Anleitung zum Unglücklichsein“.
Die Erzählerin ist eine gnadenlos ehrliche und genaue Beobachterin, die aus der zeitlichen Distanz auf ihre Familie schaut. Kapitelweise richtet sie ihr Vergrößerungsglas auf verschiedene Mitglieder ihrer Familie, meist auf die Frauen, und ihre Schwächen und Seltsamkeiten. Davon gibt es reichlich. Die männlichen Figuren bleiben blass und schwach. Exemplarisch dafür ist der Vater, der seiner aparten, flippigen Frau hilflos und ohne Gegenwehr ergeben ist. Man hat bestenfalls Mitleid mit ihm, in das sich eine Spur Verachtung mischt. Auch sprachlich bleibt für Böttger noch Luft nach oben. Dem verschachtelten Satzbau mangelt es an Eleganz, und nicht jede Metapher und jeder Vergleich sitzt. Auch wird nicht jede:r über den slapstickhaften, oft bloßstellenden Humor lachen können.
Der Roman beginnt und endet mit dem Tod des Vaters. Aber trotz dieser inhaltlichen Klammer wollen die Kapitel sich am Ende nicht zu einem Ganzen fügen – der rote Faden, das HAUS, hält sie nicht zusammen. Als das HAUS endlich verkauft ist und damit das Unglücksnarrativ wegfällt, an dem die Familie sich festgehalten hat, scheint das Chaos programmiert, denn die Eltern sind mit dem Umzug massiv überfordert. Der aber – über das ganze Buch hinweg antizipiert - bleibt im Ungefähren und geht, ohne dass wir Details erfahren, wie von selbst vonstatten. Der Roman endet ebenso abrupt, die Lücken werden nicht geschlossen. Über den aus meiner Sicht sinnfreien Schlusssatz des Romans konnte ich nur den Kopf schütteln.
In einem Interview berichtete die Autorin, dass sie den Roman schon vor längerer Zeit begonnen und aus einzelnen Episoden zusammengesetzt hat, die zu sehr unterschiedlichen Zeiten geschrieben wurden. So liest er sich auch.
Schlussendlich wüsste ich nicht zu sagen, welchen Gewinn ich aus der Lektüre gezogen hätte. Insgesamt ein wenig inspiriertes Debüt.