Rezension

Annäherung

Die Wunde -

Die Wunde
von Oxana Wassjakina

Bewertet mit 4 Sternen

Die Tochter bringt die Asche der Mutter in deren Heimatstadt, um die Asche dort zu bestatten. Und mit auf dieser Reise ist die Vergangenheit. Eine nicht einfache Vergangenheit, denn das Verhältnis der beiden war sehr angespannt. Die Tochter erzählt in dem Buch von der Vergangenheit. Man merkt welche Wunden diese Vergangenheit geschlagen hat. Das berührt und bedrückt. Dennoch muss ich hier erwähnen, dass diese Geschichte doch etwas eindimensional ist, denn die Mutter kommt ja nicht zu Wort. Es sind die Gedanken der Tochter, die die Leserschaft vernimmt. Damit will ich nicht das Geschriebene schmälern oder für unwahr erklären. Ich möchte nur anmerken, dass aus beiden Sichten das Ganze sicher noch eindrucksvoller wäre und ich möchte daran erinnern, dass Erinnerungen manchmal auch trügerisch sein können, weil man sie ja unbewusst oder bewusst auch seine Denke verändert. Dies aber nur als Anmerkung von mir. Denn ich habe das Geschriebene ja dennoch als authentisch empfunden.

 

Und nicht nur als authentisch, sondern als sehr schmerzhaft. Denn die Tochter hat nicht nur mit den Anspannungen in der Familie, mit den Zurückweisungen durch die Mutter und mit ihrem eigenen Anspruch an eine funktionierendes Mutter-Tochter-Beziehung, mit ihrer dennoch vorhandenen Liebe und mit einer tiefsitzenden Enttäuschung zu kämpfen. Und dazu kommt dann noch, dass die Tochter in einer Selbstfindung ist, die erst richtig Raum bekommt, als die Tochter ihren Wohnort verlagert und dort dann mehr aufblühen kann. Nicht vollkommen versteht sich, denn man darf nicht vergessen, wir befinden uns im restriktiven Russland. Und ihr Coming Out wird schon deshalb begrenzter sein, als wir uns das in unserem doch freieren Land vorstellen können. Nur die älteren Semester unter uns können sich noch an vergangene Zeiten erinnern, wissen noch von der Kriminalisierung, die allzu offen lebenden Zeitgenossen schnell drohte. Völlig frei ist man deshalb jetzt nun auch nicht, denn eine Straffreiheit bringt aber dennoch keine Veränderung in den allzu gestrigen Denkweisen mancher Zeitgenossen und je kleiner die Stadt, in der man lebt, desto gestriger ist sie. Und wenn ich an die momentane politische Situation denke! … Nun denn, ein anderes Thema.

 

Zurück zum Buch. Die Tochter bringt die Asche der Mutter in deren Heimatstadt und mit von der Partie ist die Vergangenheit und mit von der Partie ist die Trauerarbeit, die die Tochter hier höchst intensiv und eindrücklich betreibt. Denn sie schont sich nicht und man bemerkt im Voranschreiten des Textes eine gewisse Veränderung im Klang der Schreibe. Die Worte sind nicht mehr ganz so hart wie am Anfang, werden etwas weicher, runder. Der Vorwurf in den Gedankengängen der Tochter und eine etwaige Anklage treten in den Hintergrund und ein Verstehen der Mutter und ein Verzeihen wird möglicher. Denn die Sache mit dem Glashaus und den Steinen wird sicher auch im Kopf der Tochter sein und vielleicht schließt sich diese schwärende Wunde. So kann man nur hoffen. 

 

Oxana Wassjakina hat hier mit ihrem Buch „Die Wunde“ ein autofiktionales Buch verfasst, welches ich sehr gern gelesen habe, denn irgendetwas schleppt ja jeder mit sich herum und wenn man anderer Leute Tun durchforstet, könnte ja ein gewisser Lerneffekt eintreten. Dieses Buch ist sicher eines der Bücher, die man eventuell später noch einmal zu Rate ziehen könnte und dann schauen könnte, wie man dann zu dem Buch steht, ob man es dann immer noch gut findet. Mal sehen. Das wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall kann ich sagen, ich habe „Die Wunde“ sehr gern gelesen, auch wenn ich natürlich auch erwähnen muss, dass dieses Buch ein hohes Triggerpotenzial hat, denn es werden wirklich viele schwierigen Thematiken erwähnt. Vielleicht ist es auch gerade deswegen ein gutes Buch, denn die Erzählerin leistet hier ihre Trauerarbeit, ohne sich zu schonen und hat vielleicht auch deswegen einen Erfolg.