Rezension

Annäherungen...

Die Enkelin -

Die Enkelin
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 5 Sternen

Ein leiser Roman mit Sog, voller wichtiger Themen, sorgfältig komponiert und glaubhaft im Ablauf. Klare Leseempfehlung!

Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie. (Klappentext)

Kaspar ist zufrieden mit seinem Leben, er hat sich arrangiert. Auch wenn er die Buchhandlung mittlerweile alleine führt, weil seine Frau Birgit sich dem Schreiben zugewandt hat, und auch wenn Birgit deutlich zu viel Alkohol trinkt, liebt er sie immer noch. Der Blick auf seine schlafende Frau bevor er zu Bett geht, versöhnt ihn mit so manchen Unbilden des Alltags. Doch eines Abends findet Kaspar seine Frau tot auf – ein Schock, gefolgt von tiefer Trauer.

Als Kaspar in der Lage ist, sich den Hinterlassenschaften seiner Frau zu widmen, macht er eine Entdeckung, die ihm erneut den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht. Birgit, die der Liebe wegen aus der DDR zu ihm nach Westberlin geflohen war, hatte zeitlebens ein Geheimnis vor ihm. Sie hat vor ihrer Flucht in aller Verschwiegenheit ein Kind geboren und dieses schließlich weggegeben, nicht wissend, was das Kind erwarten würde. Ein Romanentwurf Birgits entpuppt, dass sie sich mit dem Gedanken getragen hat, nach dem Kind, ihrer Tochter, zu forschen, doch dazu kam es letztlich nicht mehr.

Kaspar beschließt schließlich, Birgits Plan in die Tat umzusetzen, und beginnt mit der Suche, die ihn schließlich in ein ländliches Gebiet in Ostdeutschland führt – in ein völkisches Dorf. Svenja lebt dort mit ihrem Mann und ihrer 14jährigen Tochter Sigrun, die das nationalistische Gedankengut schon mit der Muttermilch aufgesogen hat. Doch obwohl ihre Welten nicht fremder sein könnten – auf der einen Seite der gutsituierte, weltoffene und liberale Kaspar, auf der anderen Seite das Kind rechtsgerichteter Eltern, das die polemischen Thesen der Dorfbewohner nie gelernt hat in Frage zu stellen – beschließt Kaspar, Sigrun ein Großvater zu sein, wenn diese es möchte...

 

„Er las, was er über Rechte, alte und neue Nazis, NPD und AfD, Autonome Nationalisten, Identitäre, Artamanen, Völkische, ihre Siedlungen und national befreite Zonen, ihre Frauen- und Jugendorganisationen fand. Es war eine deprimierende Lektüre, er hatte nicht geahnt, wie weit sie verbreitet waren, wie beweglich sie sich den Zeitströmungen anpassten…“

 

Die Rückblicke in die DDR-Vergangenheit Birgits und die Einblicke in das nationalistische Gedankengut des völkischen Dorfes bieten die Reibungspunkte des Romans. Die verschiedenen Ideologien in ihrer jeweiligen Ausprägung, die Auswirkungen der radikalen Einhaltung der gesellschaftlichen Regeln auf den Einzelnen, die drohenden Repressalien bei dem Versuch, sich davon womöglich zu distanzieren – Bernhard Schlink schildert dies auf seine leise aber eindrückliche Art sehr nachvollziehbar.

Dabei belässt der Autor die Charaktere auf Distanz, auch wenn durchaus Emotionen durchschimmern. Dadurch fällt es beim Lesen leichter, sich mit der eigentlichen Thematik auseinanderzusetzen und damit, wie kompliziert der Versuch sich gestaltet, sich einander annähern zu wollen und dabei ideologisch gleichzeitig abzustoßen. Man könnte Kaspar vorwerfen, sich zu behutsam und oft nur wenig eindeutig der Gedankenwelt Sigruns entgegenzustellen. Doch passt das Verhalten wiederum zu dem leisen Charakter Kaspars und zu dem, was er verkörpert - und die Schwierigkeit, Sigrun nicht gleich wieder zu verprellen und damit jegliche Chance auf eine Annäherung zu vereiteln, sollte dabei auch nicht außer Acht gelassen werden, zumal Vorwurfshaltungen erfahrungsgemäß wenig dazu beitragen, Ansichten und Meinungen zu verändern. Das könnte allenfalls ein langsamer Prozess bewirken, wenn denn überhaupt...

 

„Er hatte sie in sein Herz geschlossen – nur unter dem Vorbehalt, dass sie ihrer Welt abschwören und in seine finden würde? Nein, so wollte er nicht lieben…“

 

Der behutsame, gesetzte, ruhige Schreibstil passt zur leisen Gedankenwelt Kaspars und hat mich schon auf den ersten Seiten in seinen Bann gezogen. Ein leiser Roman mit Sog, voller wichtiger Themen, sorgfältig komponiert und glaubhaft im Ablauf. Von mir gibt es hier eine klare Leseempfehlung!

 

© Parden