Rezension

Anspruchsvoll und genial! :)

Die Menschenleserin - Jeffery Deaver

Die Menschenleserin
von Jeffery Deaver

Jeffery Deaver ist für mich ein Meister seines Faches. Ganz schlicht und einfach. Das muss nicht jeder so empfinden, aber ich verbinde mit seinem Namen einfach wirklich gut durchdachte, vielschichtige Thriller. Das ist keine Massenware und kein Mainstream, auch keine Popliteratur, das ist wirklich was für Liebhaber der ausgeklügelten amerikanischen Thrillerkost. Ein Deaver ist selten was schnelles für zwischendurch und auch nichts zum Berieseln, ein Deaver fordert seinen Leser.

In „Die Menschenleserin“ schickt Jeffery Deaver nun erstmals die Verhörspezialistin Kathryn Dance mit einer eigenen Serie aufs literarische Parkett. Bereits in „Der gehetzte Uhrmacher“, dem siebenten Band der erfolgreichen Lincoln Rhyme-Reihe von Deaver, hatte Kathryn Dance einen ersten Auftritt und half in New York bei einem Fall aus.

In ihrer Heimat Kalifornien ist Dance beim CBI angestellt, dem California Bureau of Investigation. Diese Behörde ist dem Generalstaatsanwalt von Kalifornien direkt unterstellt und als Strafverfolgungsbehörde ähnlich dem FBI, allerdings auf bundesstaatlicher Ebene, tätig. Das ist insofern interessant, als dass es sich bei diesem Setting nicht um eine „normale“ Polizeidienststelle handelt und somit in diesem Thriller wieder andere Aspekte der Ermittlungsarbeit beleuchtet werden. Dance arbeitet hier als Spezialistin für Vernehmungen. Sie ist als Expertin für Kinesik dafür ausgebildet, ihren Gesprächspartner und seine Körpersprache aufs Genaueste zu analysieren und so in einem Verhör Lügen und Halbwahrheiten aufzudecken. Und Kathryn Dance wäre keine Ermittlerin aus der Feder von Jeffery Deaver, wenn sie nicht klug genug wäre, dabei auch versteckte Hinweise oder relevante Details für die laufenden Ermittlungen herauszufiltern.

So auch im Fall Daniel Pell. Pell ist ein klassischer Psychopath, begleitet von einer guten Portion Größenwahn und zu allem Überfluss ist er auch noch wahnsinnig clever. Trotzdem wurde er gefasst, nachdem er vor 8 Jahren bei einem Raubüberfall mehrere Menschen ermordet und damit fast eine komplette Familie ausradiert hat. Nun sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis seine Strafe ab. Lebenslänglich.

Pell beschließt, diesen Zeitraum etwas zu verkürzen. Während eines Verhörs bei Dance in einer weniger gut bewachten Polizeibehörde gelingt ihm die Flucht. Diese ist so spektakulär, dass der Leser bereits auf den ersten 50 Seiten einiges geboten bekommt. Und auch im weiteren Verlauf kann man sich zurücklehnen und die Show genießen, die der Autor da für einen inszeniert hat. Denn Pell macht sich nicht nur einfach vom Acker und die Polizei jagt ihm hinterher, nein, das wäre kein Deaver. Pell sowie die um ihn herum agierenden Figuren und auch die gesamte Handlung trumpfen mit immer neuen Facetten auf.

Ich bin bei Deaver jedes Mal wieder davon begeistert, wie er seine Figuren entwirft. Und dabei meine ich weniger die eigentlichen Protagonisten, sondern tatsächlich die Antagonisten und die einzelnen Nebendarsteller. Hier steckt Deaver wirklich viel Mühe in die Details, formt die Charaktere richtig gut heraus und weckt damit bei mir die Faszination für die kleineren Rollen. Denn oftmals entpuppt sich ein stimmiges Figurenensemble dann am wirkungsvollsten, wenn nicht die Hautfigur die Geschichte allein trägt, sondern wenn sich aus vielen Beteiligten ein stimmiges Gesamtbild formt. Und da sind es bei Deaver eben auch vermeintliche Nebenrollen, die unglaublich viel Reibungsfläche bieten und die Geschichte damit lebendiger machen. Und am Ende auch die Handlung in eine völlig neue Richtung lenken können.

Bei Deaver sollte man keine Figur unterschätzen. Und man hat bis zuletzt nicht den Hauch einer Ahnung.

Fazit: „Die Menschenleserin“ kombiniert eine spannende Verfolgungsjagd mit einer komplexen Geschichte dahinter. Mit der einen Hälfte rechnet man nicht und die andere Hälfte schleicht sich heimlich von hinten an. Dazu gibt es wie von Jeffery Deaver gewohnt jede Menge aufschlussreiches Hintergrundwissen, in diesem Buch über Kulte und Kinesik. Zudem gibt es raffinierte Charaktere und unerwartete Wendungen, die nicht platt und konstruiert wirken, sondern erstaunen. Spannend, klug und komplex, her mit dem nächsten Band!

Gesamteindruck: 5 Sterne satt für einen spannenden und anspruchsvollen Thriller!

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