Rezension

Anspruchsvolle Lektüre mit spannenden Gedankengängen

Die Topeka Schule - Ben Lerner

Die Topeka Schule
von Ben Lerner

Bewertet mit 4 Sternen

In „Die Topeka Schule“ geht es um die Geschichte von Adam und seinen Eltern Jane und Jonathan. Adam ist in seinem Abschlussjahr an der Topeka High School und ein sehr erfolgreicher Debattierer. Er begeistert sich für Sprache und Lyrik und versucht dies in Einklang mit seinem Anspruch von Coolness zu bringen. Seine Eltern sind beide PsychologInnen und, wie viele Eltern von Adams Freunden, Angestellte der Topeka Foundation, einer Einrichtung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Adam wächst in einem Umfeld voller privilegierter Jugendlicher auf. Im starken Kontrast dazu Darren, der genauso alt wie Adam ist, aber offensichtlich psychische Probleme hat, eher ein Außenseiter ist und nicht zum Kreis der coolen Kids gehört. Es wird aus den Perspektiven von Adam, seinen Eltern Jane und Jonathan und Darren erzählt.

Ich habe mich zu Beginn relativ schwer getan, in den Roman und die Erzählweise hineinzufinden. Die Perspektiven wechseln, die Zeiten auch und zwischendurch wusste ich nicht mehr, wer überhaupt gemeint ist und wann sich die beschriebenen Begebenheiten zugetragen haben beziehungsweise wo und wie diese in der Familienhistorie zu verorten sind. Wahrscheinlich hat die streckenweise Verwirrtheit meinerseits dazu geführt, dass ich diesen Roman ausgesprochen gründlich gelesen habe. Ich habe bewusst jeden Satz versucht, teilweise sogar jedes Wort, in Beziehung zum Vorigen zu bringen. Anders hätte ich das Gefühl gehabt, wichtige Passagen fehl zu interpretieren oder schlicht nicht zu verstehen und zu durchdringen. Genau deshalb habe ich Entdeckungen sprachlicher und inhaltlicher Art gemacht, die mir sonst höchstwahrscheinlich verborgen geblieben wären. Einige Sätze haben mich auf positive Weise innehalten lassen.
Zwischendurch hatte ich das Gefühl vieler loser Enden. Diese wurden nach und nach entwirrt, aber nicht alle aufgeworfenen Aspekte wurden auserzählt. Bei diesem Roman sehe ich das aber als Stärke und nicht als Manko.

Aufgrund der sprachlichen und inhaltlichen Herausforderungen konnte ich als Leserin keine wirkliche Beziehung oder emotionale Verbundenheit zu den ProtagonistInnen aufbauen. Die Charaktere sind mir keinesfalls fremd geblieben, sondern entwickeln sich sehr nachvollziehbar. Für mich sind sie aber eher Charaktere geblieben, die ich aus der Distanz beobachte. Ich bin nicht sicher, ob das bei diesem Roman überhaupt wichtig ist und nicht viel mehr die Bedeutung der Sprache der ProtagonistInnen oder die Bedeutung der Sprache für die Charaktere relevant ist.
Etwas irritiert hat mich jedoch die Beziehung von Adam zu Darren beziehungsweise Darrens Rolle im Plot. Aufgrund der Inhaltsbeschreibung habe ich etwas anderes erwartet.

Dass sich in Adams Familie und ihrem Umfeld viel um psychoanalytische oder systemische Ansätze dreht, schlägt sich inhaltlich und auch sprachlich nieder. Immer wieder werden aber auch andere gesellschaftliche Themen aufgegriffen, zum Beispiel Feminismus und die Rolle der Frau, Homophobie und politische Entwicklungen. Diese Ausführungen haben mir gut gefallen, da der Geschichte so noch etwas mehr Tiefe als sowieso schon vorhanden verliehen wurde.

Ben Lerner benutzt Sprache nicht nur, um eine Geschichte zu erzählen, er erzählt viel mehr mit der Sprache eine ganz eigene Geschichte. Ich habe mich ein wenig an meine Schulzeit erinnert gefühlt und an die Forderung, einen Text auf Inhalt und Sprache zu analysieren. Ich bin froh, dass ich dies bei der „Topeka Schule“ nicht tun musste, sondern einfach genießen und beobachten durfte, wohin bestimmte Wendungen, sowohl inhaltlich als auch sprachlich, führen. Ziemlich bald konnte ich feststellen, dass gerade bei diesem Roman eine Trennung von Inhalt und Sprache nicht möglich ist.

Insgesamt bin ich froh, „Die Topeka Schule“ gelesen zu haben. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, besonders die Macht und Kraft der Sprache hat sich mir auf eindrucksvolle Weise gezeigt. Der multiperspektivische Aufbau hat den Roman bereichert, aber auch sehr komplex gemacht. Ich würde den Roman auf jeden Fall empfehlen, allerdings ist er nicht einfach zu lesen und definitiv kein Buch, das „nebenbei“ gelesen werden kann.