Rezension

Antiquiertes Frauenbild.

Eine englische Ehe - Claire Fuller

Eine englische Ehe
von Claire Fuller

Bewertet mit 2 Sternen

Manchmal falle ich auf einen Klappentext herein! Dabei meide ich schon lange Keywords wie Geheimnis, Briefe, Tagebücher und Herrenhaus.

Älterer Literaturprofessor in England schwängert Studentin. In den Siebzigern. Beide fliegen von der Uni. Shit happens.

Dass die Antiheldin Ingrid sich aus ihrer prekären Lage nicht befreien kann, dafür muss die Autorin Claire Fuller eine ganze Menge an Zufälligkeiten auffahren. Das Mädel hat keinen Freundeskreis, keine Familie (buchmässig aber eine Tante in Oslo), lebt im Ausland, ist zu stolz, um um Hilfe zu bitten, zu unfähig zu jeder Art von Eigeninitiative, konfliktscheu, hat postnatale Depressionen und ist dem Helden Gil sexuell hörig. Gil ist ein Lustmolch, ein Messi, ein verantwortungsloser Egomane. Ja, tut mir leid, mehr gibt es über ihn nicht zu sagen.

Ich kann es nicht erklären, warum Ingrid sich am Haus am Meer vergraben und von ihrem Mann demütigen lässt. Sie findet Trost in ihrem Garten und am Schwimmen im Meer. Einen Arzt oder eine Hebamme, der sie sich hätte anvertrauen können oder ein Pfarrer sind selbstverständlich auch nicht vorhanden. Wieso nicht? In jedem Dorf gibt es einen Pfarrer, einen Arzt und eine Hebamme. Die Tante ist auch noch da. Und Eltern hat sie wohl auch keine? Geschwister auch nicht. Super. (Ich glaubs nicht). Telefonieren ist zu teuer, das Internet ist noch nicht erfunden, da bleibt nichts anderes, als sentimentale Beklagemich-Liebesbriefe in Büchern zu verstecken. (Ich glaubs wieder nicht).

In den 70ern gabs schon Frauenhäuser! Das erste Frauenhaus entstand 1971 sogar in einem Londoner Vorort! Und inzwischen ist der Plot bis in die 80er vorgedrungen. Frauen sind nicht so! Jedenfalls nicht, wenn sie ihre fünf Sinne zusammen haben.

Nun hätte man sich ja durchaus arrangieren und einigermassen behaglich leben können, zumal dann doch etwas Geld ins Haus flatterte. Weil ein Haus am Meer ja etwas ist. Weil ein Garten etwas ist. Und weil zwei süße Rangen zu versorgen auch etwas ist. Darin kann man Lebenssinn finden. Diese Wendung hätte ich vernünftig gefunden. Und gerne gelesen, wie man in einem eigentlich nicht gewollten, ungeplanten, unschönen Leben, dann doch zurechtkommt und Erfüllung findet, Freunde findet, vielleicht sogar eine Aufgabe. Aber Ingrid hat keinen Zugang zu ihren Kindern.

Auch eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Schule oder in der Kirchengemeinde wären denkbar gewesen. Doch die Autorin erlaubt es nicht und so ist Ingrid ein ganzes Buch lang damit beschäftigt, unglücklich zu sein und in vollständiger Isolation zu leben. Bis sie verschwindet. Sich in Luft auflöst. Die denkbar schlechteste aller Varianten.

Hier setzt die zweite mit der ersten alternierenden Zeitebene ein. Ingrids Töchter, Flora und Nan sind erwachsen und treffen sich am Haus am Meer, um ihren Vater, Gil, zu betreuen. Die zweite Zeitebene versöhnt etwas mit dem unwahrscheinlichen Inhalt der ersten. Ein Haus am Meer hat eben immer etwas, es hat Atmosphäre, da ist der Plot fast Nebensache.

Geschrieben ist das Ganze relativ nett und lässt den schwachen Stoff da und dort vergessen. Bis Ingrid wieder ins Jammertal ihres Daseins versinkt. Und wieder einmal nicht ein noch aus weiß.

Fazit: Roman am Meer, teilweise nett geschrieben, aber mit sehr bemühtem Plot, unstimmigen Protagonisten und einem antiquierten Frauenbild.

Kateogorie: Unterhaltung
Verlag: Piper, 2017

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 18. November 2017 um 23:32

Mir hat der Roman gut gefallen; womit man mal wieder sieht, wie unterschiedlich Literatur bei seinen LeserInnen ankommt.... - schon interessant ;)

LG Sigrid

wandagreen kommentierte am 19. November 2017 um 07:59

"Literatur" ... *hust* ....

Steve Kaminski kommentierte am 19. November 2017 um 09:12

Bist Du erkältet?

Steve Kaminski kommentierte am 19. November 2017 um 09:15

Ich kenn das Buch ja nicht, aber ich finde es jedenfalls witzig, wie Du die Handlung auseinandernimmst und an anderen Möglichkeiten misst! Die Lektüre Deiner Rezi hat wieder Freude gemacht!

sphere kommentierte am 19. November 2017 um 11:24

Das ist schon merkwürdig...nachdem ich auch die anderen Rezis gelesen habe, kann ich mir so einen Lebenslauf durchaus vorstellen. Ein junges Mädchen, dass ins Ausland geht, um vllt. auch ihrer dominanten Mutter zu entfliehen, - die, durch ihre Kontrolle dem Kind die Möglichkeit genommen hat, soziale Kompetenzen zu erwerben, - dort einen älteren Mann trifft, verliebt, dennoch nicht schafft, eigenständig Kontakte aufzubauen, sich isoliert, usw.

In meiner Arbeit mit vor allem jungen Menschen kenne ich solche Lebensläufe, durchaus vorstellbar, you know...

 

wandagreen kommentierte am 19. November 2017 um 13:34

Ingrid ist aber eine Intellektuelle! Andererseits: wäre die Absurdität ihrer Gefangenschaft verhandelt worden, wäre ihre Kindheit zur Sprache gekommen, irgend ein Erklärungsmodell, dann wäre es ja gegangen. Aber da war nix.

E-möbe kommentierte am 27. November 2017 um 23:00

Und Intellektuelle kommen nie in die Lage der Abhängigkeit? (Ich finde deine Rezi trotzdem cool. Kriegt von mir 3,5 Sterne, die Rezi. :P)

wandagreen kommentierte am 27. November 2017 um 23:35

Schon, schon, aber sie hätte vllt gewusst, wo man hingehen kann, um sich Rat zu holen.

E-möbe kommentierte am 28. November 2017 um 23:40

Kennst nicht diese Leute, die eigentlich gar keinen Rat wollen, sondern immer nur jammern und jemanden, der ihnen zuhört, an den richtigen Stellen "na, na" oder "ach, wie schade" murmelt und sonst gar nichts?

Giselle74 kommentierte am 28. November 2017 um 08:02

Eigentlich wollte ich das Buch ja lesen, aber nun überlege ich ernsthaft,ob ich die Zeit nicht anders nutze.