Rezension

Apokalypse aus Krähensicht

Hollow Kingdom - Kira Jane Buxton

Hollow Kingdom
von Kira Jane Buxton

Bewertet mit 4 Sternen

S.T. (*vollständiger Name zensiert*) wurde von Big Jim mit Leckerli erzogen und hält sich für eine Schwarzschwingen-Hybrid-Krähe mit menschlichen Anteilen. Sein Wissen über Krähen hat S.T. aus dem Fernsehen, seine imponierende Sammlung von Flüchen stammt unüberhörbar von Big Jim. Spätestens als es mit Big Jims Konzentration bergab geht und er nicht mehr auf seine Umgebung reagiert, merkt S.T. dass im Raum Seattle die MoFos, die Menschen, an einer geheimnisvollen Krankheit leiden. Offenbar versuchten viele noch aus der Stadt zu flüchten und starben in ihren Fahrzeugen wie in einem gewaltigen Verkehrsunfall. Seattle vermoost und veralgt nun. Haustiere bleiben unversorgt zurück. Zoo und Aquarium werden von den Tieren verlassen, den Zoo übernimmt umgehend wieder die Pflanzenwelt. Die Welt, die sich ohne menschliche Eingriffe reguliert, scheint inzwischen ein einziges unappetitliches Gemetzel aus herumliegenden toten Lebewesen und Teilen davon zu sein.

S.T. macht sich auf dem Rücken des riesigen Bluthunds Jimmy auf den Weg in eine beunruhigend chaotische Welt, die Hundeleine fest im Schnabel. Er ist allein auf sein Krähenwissen angewiesen - und Kira Jane Burtons Leser auf seine Krähenperspektive. Abwechselnd mit S.T. berichten u. a. Haus- und Nutztiere, wie sie sich ohne ihre Fütterknechte allein durchschlagen. Wer eine Katzenklappe überwinden kann, erlebt erstaunliches. Auf der Suche nach der Ursache der Apokalypse sind allerlei gefangene Tiere zu befreien. S.T. profitiert von seinem natürlichen Orientierungssinn und von Aura, einem Kommunikationsnetz der Natur, das auch mit den Meeresbewohnern verbunden ist. Von einem fernen Krieg der MoFos erfährt er durch Aura, dem sozialen Netz der Tierwelt. Wo Krieg geführt wird, müssen demnach MoFos überlebt haben. Weniger angenehm verläuft S.T.s Begegnung mit anderen Krähenpopulationen, die sich Schwarzschwingen für überlegen halten.  Krähen scheinen sich gern für den Nabel der Welt zu halten und nun beanspruchen sie auch noch, die besseren Menschen zu sein.

S.T. tritt als handzahmes Großmaul von winziger Gestalt auf. Im postapokalyptischen Schlamassel bringt er eine gehörige Portion „Krähenverstand“ mit und glaubt nicht alles, was andere ihm eintrichtern möchten. Aus tierischer Sicht muss er sich Kritik gefallen lassen. S.T. sei eine Krähe, die sich für einen Menschen hält und der die Menschenwelt verloren ging, stellt die Pazifische Krake fest.

S.T.s Weltbild wirkt schlicht: er weiß, wo ein Vogel in Sofas am besten nach Schätzen picken sollte und verachtet Pinguine, die nicht fliegen können. Gut, dass außer ihm andere Tiere zu Worte kommen, die nicht nur Schätze im Sinn haben. Am Ende taucht sogar Ghubari wieder auf, der Graupapagei, ohne dessen Besitzer Big Jim vermutlich an der Aufzucht von S.T. gescheitert wäre.

Als Fan von Tier-Fantasy spricht mich hier besonders die Beziehung zwischen dem  großen Hund und seinem vergleichsweise winzigen Boss in Krähengestalt an. Weniger gefallen mir als Nicht-Krähe die unappetitlichen Leichenteile, die zurückbleiben, nachdem die Menschen ihren Planeten heruntergewirtschaftet haben.