Rezension

Auch das Böse hat seine Grenzen!

Die Wölfe kommen
von Jérémy Fel

1 1/2 Sterne für zwei oder drei liebenswürdige Charaktere und zwei oder drei spannende Kapitel zu Beginn des Romans, in denen man als Leser noch grübelt, wo uns die einzelnen Kapitel dieses vermeintlichen Episodenromans hinführen und welche Ausmaße die Abgründe der menschlichen Existenz annehmen werden. Doch wo die Spirale des imaginierten Grauens immer weiter hinabführen sollte, schaffte es der Autor mit seiner "Romanhandlung" nur, die Erwartungshaltung in den Keller hinabsteigen zu lassen...

Jérémy Fels Roman, "Die Wölfe kommen", - hochgelobt und prämiert - präsentiert sich zu Beginn als ein Episodenroman, in dem sich von Kapitel zu Kapitel, von Geschichte zu Geschichte, von Figur zu Figur ein Netz des Bösen, der Grausamkeiten und Abgründe des Menschen auftut, das erschüttern soll. Zu Beginn sucht man als Leser noch, wo die Verbindungen liegen; rästelt, wo die Wellen des Bösen einschlagen werden und wohin das Ganze führen wird; entdeckt den gemeinsamen Nenner trotz wechselnder Zeit, Protagonisten und Perspektiven. Bei den einen mehr, bei den anderen weniger - aber auf diese Weise wird das Rätsel und damit natürlich auch die Saannung aufrecht erhalten.
Doch spätestens ab der Hälfte des Romans wird klar: Das ist KEIN Episodenroman! Es ist eine Kurzgeschichte, die zum Roman aufgebauscht werden soll und die man deswegen mit kleinen, lose verbundenen Nebenhandlungen unterfüttert. Und es ist auch kein Psychothriller oder Splatter - obwohl auf Gewalt, Blut und grausame Details durchaus nicht verzichtet wird -, sondern ein Familiendrama, das bis auf das Äußerste auf die Spitze getrieben wird, und dem zuliebe auch der Stil und Aufbau des Romananfangs zum Schluss gänzlich aufgegeben wird. Die eingestreute Gewalt und Grausamkeit liest sich da fast erzwungen. Stattdessen hätte man auch eine chronologisch-stringente Geschichte mit einem auktorialen Erzähler schreiben können, dann wären die Perspektivwechsel, die dann doch die lustig-tragischen Kniffe des Autors nachträglich verraten sollten, nicht nötig gewesen. Dann hätte man einfach die Laufbahn des - man muss es so sagen - bösen (bösen!) Walter Kendrick verfolgt, die Gründe, die dazu führten, dass er sich in einen Abgrund reißen ließ und was ihn daran faszinierte und was es für die Menschen bedeutete, deren Leben mit dem seinen in Berührung kamen. 
Aber das wäre wohl zu einfach gewesen, zu langweilig, weil schon hundertmal geschrieben, zu wenig originell...
Fel entschied sich für eine erratische Erzählweise mit eingestreuter Lust an Gewalt und verzichtete dafür auf psychologische Tiefe - schlimmer noch: griff auf längst veraltete Ansichten zurück, die nicht nur implizit sondern auch explizit in den Text gestreut wurden, wie etwa Nativismus/Erbpsychologie in Bezug auf das genuine Böse sowie die Verbindung von Homosexualität und (gewaltätigen) Perversionen - ob das vom Autor beabsichtig war, weiß ich nicht. Ich hoffe es nicht! Allein dass sich diese Tendenzen jedoch herauslesen lassen, ist bedenklich.
Da trösten die ein oder anderen sympathischen Figuren und das erste Drittel des Romans, in dem man noch glaubt, es ginge um die Facetten des "Bösen" (z.B. unterlassene Hilfeleistung, Schadenfreude...), leider nicht über den Rest und vor allem den Ausgang des Romans hinweg.

Obwohl prämiert und gelobt fällt Fels Romandebüt für mich ganz klar durch und ich würde diesen Roman auch auf gar keinen Fall meinen Freunden weiterempfehlen (es sei denn, für weitere [kontroverse?] Diskussionen).