Rezension

Auf den Spuren eines Familiengeheimnisses

Die vergessene Burg - Susanne Goga

Die vergessene Burg
von Susanne Goga

Auf den Spuren eines Familiengeheimnisses

„Wenn man einmal von etwas gekostet hat, mag man den Geschmack nie wieder missen“

Ein Gedichtband von Heinrich Heine mit seinem „Lied der Loreley“ und ein Brief aus Deutschland bringen das ruhige, ereignislose Leben der jungen Engländerin Paula Cooper unvermittelt in Aufruhr. Paula ist seit zwölf Jahren die Gesellschafterin einer Verwandten, erduldet die vorgetäuschten Krankheiten und die emotionale Erpressung der einsamen Invalidin Harriet Farley, die Paula jegliche Freude missgönnt und ihr die Luft zu atmen nimmt. Erst als sie irrtümlich eines an sie gerichteten Briefes habhaft wird, erfährt sie von der Existenz eines Onkels, von dem sie bis zu diesem Zeitpunkt nichts wusste. Paula erwacht aus ihrer Resignation und ihre Wut auf das bewusste Verschweigen der Vergangenheit vermischt sich mit einer durch Heines Gedicht erwachten Sehnsucht, dieses schöne Land am Rhein kennenzulernen. Sie entspricht dem Herzenswunsch ihres schwer erkrankten Onkels und bricht zu einer Reise zu ihm nach Bonn auf, die ihre gesamte Existenz auf den Kopf stellen wird. Denn ihre Mutter Margaret hatte nicht nur strikt vermieden, über den längst verstorbenen Vater und dessen Bruder zu sprechen, sondern auch andere Dinge verheimlicht. Es handelt sich um Geheimnisse brisanten Inhalts, und Paula ist felsenfest entschlossen, ihnen auf den Grund zu gehen. In Deutschland macht sie die Bekanntschaft des englischen Fotografen Benjamin Trevor, der die junge Frau bei ihrer Suche nach Hinweisen zum Verbleib ihres Vaters unterstützt und sich gemeinsam mit ihr auf die Suche nach der Wahrheit macht. Paulas ehemals graues, tristes Leben in Harriet Farleys grauem Haus in Kings Langley, Hertfordshire, mutiert zu einem atemberaubenden Abenteuer, das ihr gesamtes Dasein in Frage stellt und ihr Leben vollständig und unwiderruflich verändert.

Die mir bislang unbekannte Autorin Susanne Goga hat mich zunächst mit dem eindrucksvollen Buchcover, dem vielversprechenden Klappentext und schließlich mit der interessanten Leseprobe dieser Neuerscheinung in den Bann gezogen. Es animiert dazu, „Die vergessene Burg“ zu lesen und der Rolle dieser verheißungsvollen Burg auf dem Cover auf den Grund gehen. Eine einleitende Internet-Recherche über die Ruine Ehrenfels verlieh dem Ganzen zusätzlichen Reiz.

Die Umsetzung dieser Geschichte ist der Autorin hervorragend gelungen. Susanne Gogas Schreibstil ist äußerst einnehmend, ihre wunderschöne bildhafte Sprache erweckte in mir unvermittelt den Wunsch, dieses Abenteuer selber erleben, das leuchtende Feuer der untergehenden Sonne mit der Ruine einer Burg über dem funkelnden Rhein mit eigenen Augen betrachten zu dürfen. Die detaillierten Beschreibungen bezogen mich als Leser vollständig in die Geschichte ein und die Worte der Autorin ließen sowohl ihre überzeugenden und ausgezeichnet charakterisierten Protagonisten und Nebenfiguren, als auch die wunderschöne Landschaft am Ufer des Rheins in meinem Kopf lebendig werden. Durch die Geheimniskrämerei von Paulas Mutter um ihren vor vielen Jahren spurlos verschwundenen Ehemann wird ein großer Spannungsfaktor ins Buch eingebracht, der sich mit dem Verlauf der Geschichte kontinuierlich erhöht und schließlich zu einem aufregenden Finale hinführt. Ich fand es höchst anregend, an Paulas Seite den Spuren des William Cooper zu folgen und Licht in die Ereignisse längst vergangener Tage zu bringen.

Mit Paula Cooper präsentiert Susanne Goga eine sympathische Protagonistin, die im Verlauf der Handlung eine große Veränderung durchläuft. Ihre ruhige, aufmerksame und warmherzige Art, ihr kluger Verstand, ihre unerbittliche Hartnäckigkeit und nicht zuletzt ihr Mut haben mich tief beeindruckt. Als männlicher Gegenpart erscheint Benjamin Trevor auf der Spielfläche, der zunächst durch seine ungehobelte Art und eine nachlässige Kleidung auffällt. Aus Paulas anfänglichen Antipathie entwickelt sich jedoch nach und nach respektvolle Anerkennung und schließlich tiefe Freundschaft, die dazu führt, dass der attraktive und gutherzige Fotograf sie bei ihren Recherchen unterstützt. Sehr gut gefallen hat mir die Tatsache, dass die Autorin stets auch die engen Familienangehörigen ihrer Protagonisten in die Geschichte einbringt und man als Leser durch deren Interaktionen und ihren Briefwechsel, der in kursiver Schrift dargestellt wird, nähere Details über die Vergangenheit erfährt. Meine favorisierte Nebenfigur war Paulas Onkel Rudolph „Rudy“ Frederick Cooper, der mir mit seiner exzentrischen und überschwänglich-herzlichen Art, seiner Großzügigkeit und seiner offen zur Schau gestellten Liebe zu seiner lange vermissten Nichte augenblicklich ans Herz gewachsen ist. Als meine persönlichen Antagonisten darf ich ganz eindeutig Paulas herzlose Mutter Margaret Cooper sowie deren Cousine Harriet Farley benennen, die Paula mehr als drei Jahrzehnte ihres Lebens stahlen, ihr jegliche Lebensfreude raubten und sie lebenslänglich emotional vernachlässigten und belogen.

Fazit: „Die vergessene Burg“ ist eine imposante Familiengeschichte mit einer Menge Emotionen, die mich vollständig in seinen Bann zog. Susanne Goga glänzt mit einem hervorragenden und zum Teil poetischen Schreibstil. Es ist ihr gelungen, mich vollends zu begeistern und mir mit dieser abenteuerlichen und spannungsgeladenen Geschichte allergrößtes Lesevergnügen zu bereiten.

„Dies ist ein Geschenk, das du nie vergessen solltest. Dies ist ein Augenblick, der nie wiederkehrt. Behalte ihn. Bewahre ihn in deinem Herzen.“ (Paula und Rudolph beim Anblick des in der untergehenden Sonne funkelnden Rheins, Seite 86)