Rezension

Auf den Weg zu sich

Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer - Melissa C. Feurer

Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer
von Melissa C. Feurer

Bewertet mit 5 Sternen

„...Rücksichtnahme, Offenheit und gegenseitige Achtung im Umgang miteinander sind wichtige Kennzeichen unserer Schulgemeinschaft...“

 

Dieser Satz steht groß in der Aula von Neles Schule. Leider erlebt sie die Schultage völlig anders. In Klasse 9c hat Elli und ihre Clique das Sagen. Sie lassen Nele spüren, dass sie nicht besonders schlank ist. Auch die Scheidung ihrer Eltern führt zu spitzen Bemerkungen. Christliche Väter trennen sich nicht von der Familie.

In die gleiche Klasse geht Lars. Ihm gelingt es, sich unsichtbar zu machen. So entgeht er den Mobbing der anderen.

Doch heute stellt sich Lars an Neles Seite und sorgt dafür, dass die Mitschüler Ruhe geben.

Auf dem Heimweg trifft Lars den 18jährigen Noah. Der ist mit seinem Hund Cassiopeia unterwegs.

Der Hund wurde gerade angefahren. Lars kümmert sich um das Tier und nimmt Noah kurzzeitig mit nach Hause.

Am nächsten Tag machen sich Noah, Nele und Lars auf den Weg ans Meer.

Die Autorin hat ein spannendes Jugendbuch geschrieben. Die Geschichte lässt sich flott lesen und hat mich schnell in ihren Bann gezogen.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Lars geht mit, weil er seinem alkoholabhängigen Vater und dessen Prügelattacken entfliehen will. Er schließt sich normalerweise nicht gern jemand an.

Nele hofft in Glücksstadt ihren Vater zu finden. Sie wünscht sich, dass er zurückkehrt.

Noahs Grund für seine Wanderung durch Deutschland bleibt lange im Dunkeln. Es zeigt sich allerdings, dass er Erfahrungen mitbringt. Außerdem fühlt er sich für Lars und Nele verantwortlich.

Der Schriftstil ist abwechslungsreich und auf die Zielgruppe zugeschnitten. Detailgenau wird die Reise beschrieben. Dabei werden auftretende Schwierigkeiten keinesfalls ausgeblendet. Als in Gießen Angel, eine Freundin von Noah, zur Gruppe stößt, nehmen die Spannungen zu.

Sehr viel Wert legt die Autorin auf die Emotionen ihrer Protagonisten. Nele kämpft nicht nur mit Heimweh, sie macht sich Vorwürfe, mit einer kurzen Nachricht ihre Mutter und die kleine Schwester allein gelassen zu haben. Lars fällt es schwer, zu seinen Gefühlen zu stehen. Wenn sich Nele mit Noah unterhält, fühlt er sich ausgeschlossen. Angel wirkt nach außen eiskalt. Sie provoziert und verdeckt damit ihre tiefe Verletzlichkeit.

Ab und an erfahre ich ein paar Episoden aus Noahs bisherigen Wanderleben.

Zu den Höhepunkten des Buches gehören die exakt ausgearbeiteten und zum Teil tiefgründigen Gespräche. Mit Noah unterhält sich Nele über Fragen des Glaubens. Lars ahnt, dass sich Neles Wünsche nicht erfüllen werden und tauscht sich darüber mit Noah aus. Der antwortet.

 

„...Manchmal muss man etwas ganz Bescheuertes tun, damit offene Wunden heilen können...“.

 

Heftig sind die Dialoge von Nele mit ihrem Vater. Sie sagt ihm unverblümt, wie sie die Trennung sieht.

Die Autorin zeigt durch diese Gespräche vor allem, wie jeder einzelne in den Tagen innerlich reift. Sie lernen, nicht nur sich selbst, sondern auch die Probleme des anderen in ihre Entscheidung einzubeziehen. Außerdem bekommen sie eine völlig neue Sicht auf den Glauben.

Auf ihren Weg begegnet die Gruppe völlig unterschiedlichen Menschen. Sie erfahren Hilfsbereitschaft, müssen an anderen Stellen aber sehr vorsichtig sein.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Auswahl der Gruppenmitglieder hat eine permanente innere Spannung aufgebaut. Jeder hatte seine Stärken, aber auch gewisse Ecken und Kanten. Es ging um Verantwortung und gegenseitige Achtung.