Rezension

Auf der Suche nach der Mutter und andere Vorkommnisse

Unsre verschwundenen Herzen
von Celeste Ng

Bewertet mit 4 Sternen

Es kann sein, dass aus Celeste Ngs Feder imposante Romane erscheinen. Ihr zuvor erschienenes Buch „Kleine Feuer überall“ hat mich beeindruckt, aber erst die Umsetzung als Serie hat mich umgehauen. Mit ihrem neu erschienenen Roman geht es mir wiederum ähnlich wie mit ihrem Debüt „Was ich euch nicht erzählte“. Eigentlich ist alles da, was ich für ein tolles Leseerlebnis brauche: Starke Protagonist:innen, abwechslungsreiche Handlung, feine Sprache. Dennoch hat mir auch dieses Mal etwas gefehlt. Denn, wenn ich ehrlich bin war die Handlung im Kern gar nicht abwechslungsreich. In Dialogen und viel zu langen Rückblenden geschieht das Wahre, aber im Jetzt, ist die Geschichte von Bird schnell erzählt: Er lebt mit seinem Vater in einem Studierendenwohnheim, seine Mutter hat er seit Jahren nicht mehr gesehen, nachdem in den USA asiatisch aussehende Menschen diskriminiert wurden und immer noch werden. Also sucht er sie.

Der erste Teil des Buches, der sich um Birds Geschichte, seine Vergangenheit und die Sehnsucht nach seiner Mutter dreht, ist am interessantesten. Eine kindliche Sichtweise, die jedoch bereits erwachsene Züge trägt und jeden Tag mit Zeichen auf der Straße konfrontiert wird, die ihn nachdenklich machen. Dann vollzieht sich ein tonaler Wechsel am Midpoint der Geschichte. Dieser nimmt die Energie heraus, die Klimax zerbricht und der Story fehlt es an Substanz. Was vorher noch abwechslungsreich und unvorhersehbar war, dümpelt nun vor sich hin. Zwischen den Charakteren passiert erstaunlich wenig, bei allem was passieren könnte. Dialoge tragen keinerlei Anführungszeichen, ein Mittel, was meinetwegen angewandt werden darf, aber nicht, wenn ich dafür eine Stelle fünfmal lesen muss und danach immer noch nicht weiß, ob der zweite Satz zur wörtlichen Rede gehört oder nicht. Ng ist offensichtlich eine Verfechterin vieler stilistischer Mittel. Analogien, Metaphern und Vergleiche werden gestreut wie Salz auf einen zugefrorenen Gehweg am Morgen. Manchmal ist weniger mehr.

 

Dabei bleibt „Unsre verschwundenen Herzen“ trotzdem ein ausdrucksstarker Roman, der eine klare Message am Ende vermitteln kann. Die Prämisse ist klug, die Umsetzung ein wenig schwammig. In der Story stecken viele Ansätze, die Leser:innen durchaus lange zu denken geben.