Rezension

Auf der Suche nach einem Familiengeheimnis in Nordschweden und Russland

Tödliches Schweigen - Tove Alsterdal

Tödliches Schweigen
von Tove Alsterdal

Bewertet mit 3.5 Sternen

Katrine Hegstrand ist schockiert, als sie aus London zu Besuch nach Schweden kommt und feststellen muss, dass ihre Mutter unter fortschreitender Demenz leidet. Der nächste Schock wartet bereits. Obwohl Mutter und Tochter in einfachsten Verhältnissen gelebt haben, muss Ingrid im Grenzgebiet zu Finnland Haus und Grund besessen haben, für die es offenbar Gebote kaufkräftiger Interessenten gibt. In einem weiteren Handlungsstrang sorgen sich die Nachbarn eines älteren Mannes, weil sie ihn seit zwei Tagen nicht gesehen haben. Thure, ein pensionierter Polizist, soll beim ehemaligen Ski-Idol Lars-Erkki Swanberg nach dem Rechten sehen. Währenddessen begeht in St. Petersburg ein Mann, „der keinen Eindruck hinterlässt“, einen Mord und flüchtet gleich darauf. Auf der Suche nach der verschwiegenen Geschichte ihrer Familie begibt Katrine sich in Ingrids Heimatdorf. Sie findet verlassene Höfe und ein paar Bewohner, die die Geschichten von 1931 kennen, als Ingrids Großvater sein Dorf verließ. Man sprach nicht gern darüber, dass in den 30ern überzeugte Kommunisten aus Schweden in die Sowjetunion auswanderten. Katrine war bisher völlig ahnungslos, dass auch ihr Großvater zu diesen Männern gehört hatte. Ihre Großmutter Siri hat nie wieder von dem Mann gehört, von dem sie ein Kind erwartete. Katrine spürt der verschwiegenen Geschichte ihrer Familie mit der konzentrierten Entschlossenheit der Journalistin nach und reist dazu bis nach St. Petersburg. Dass es damals üblich war, einen aus dem Finnischen ins Schwedische oder Russische übersetzen Namen zu tragen, macht ihre Suche nicht einfacher. Als Katrine ihr Familiengeheimnis aufdecken kann, ist die Geschichte noch längst nicht zu Ende. Im Dorf kommt es zu einem weiteren Todesfall und die Person trifft ein, die einen hohen Beitrag für einen abgelegenen Hof im hohen Norden zu zahlen bereit war.

Tove Alsterdal führt ihre Leser mit einem besonderen Händchen für die Erzeugung von Stimmungen nach Tornedalen in Nordschweden. Ein geschickt gewählter Schauplatz, der von jeher religiöse und politische Extremisten, Flüchtlinge und Schmuggler anzog. Der Gedanke an das abgelegene Dorf macht melancholisch, das erst wieder ins Bewusstsein rückt, als dort eine Gewalttat bekannt wird und von hohen Geldsummen gemunkelt wird. Besonders eindringlich wirken Alsterdals ältere Dorfbewohner, z. B. Thure, der die Zeitzeugnisse zu der alten Geschichte erneut zusammenstellt, weil er meint, seine jüngeren Kollegen würden weniger sorgfältig recherchieren als er. Die Verknüpfung einer persönlichen Suche nach Spuren aus den 30ern, einem Kriminalfall und weiteren Verbindungen von Vergangenheit und Gegenwart mag ungewöhnlich wirken; ich fand sie fesselnd und stimmungsvoll erzählt. Ungeklärte Schicksale von Angehörigen sind universelle Themen, die nicht aus der Mode kommen, solange es Kriege und Diktaturen gibt.