Rezension

Auf der Suche nach sich selbst

Ein Sommer im Alten Land - Julie Peters

Ein Sommer im Alten Land
von Julie Peters

Bewertet mit 4 Sternen

Durch einen Unfall verliert Parfümeurin Alix ihre Existenzgrundlage: ihren Geruchssinn. So kann sie ihren Beruf nicht weiter ausüben. Auch mit der langjährigen Beziehung zu ihrem Freund Max steht es nicht zum Besten. Alix ist verzweifelt und sieht plötzlich alles in einem neuen Licht. Um Abstand zu gewinnen, flüchtet sie zu ihrer Großtante Barbara nach Deutschland und verkriecht sich auf deren Apfelhof im Alten Land. Der steht finanziell nicht gerade auf soliden Füssen, aber Alix möchte entgegen dem Willen ihrer Tante dort eine Seifenmanufaktur einrichten. Aber zuerst muss sich ihr Geruchssinn wieder einstellen. Die Bekanntschaft mit dem Ökobauern Johann bringt in ihr eine neue Saite zum Klingen, aber zuerst muss Alix in ihrem eigenen Leben aufräumen, neue Pläne in Angriff nehmen und vor allem ihren Geruchssinn wiedererlangen, damit sie ihrer Nase wieder folgen kann…

Julie Peters hat mit „Ein Sommer im Alten Land“ einen unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der den Leser von Beginn an an Alix‘ Seite stellt, damit er ihr Schicksal hautnah miterleben kann. Der einnehmende flüssige und farbenfrohe Erzählstil gewährleisten ein schnelles Abtauchen in die Geschichte, während das Bild des alten Apfelhofs und seiner Umgebung vor dem inneren Auge entsteht. Schon die Vorstellung, die Funktion einen der Wahrnehmungsorgane zu verlieren, ist gruselig, denn mit ihr nehmen wir die Welt wahr, ob über die Nase, die Augen, den Mund, die Ohren oder die Nerven. Die arme Alix hat mit dem Verlust des Geruchssinns eine fundamentale Einschränkung, denn da der Geruchssinn auch mit dem Geschmackssinn verknüpft ist, wird das Leben zu einem Alptraum. Nicht nur das Essen schmeckt nach nichts, ihre berufliche Existenz liegt auf Eis, denn sie kann keine Gerüche differenzieren und weiß auch nicht, wie lange dieser Zustand anhalten wird. Die damit verbundene Verzweiflung ihrer Protagonistin hat die Autorin glaubhaft dargestellt. Auch die kreisenden Gedanken um die Zukunft und wie es mit ihr weitergehen soll, sind gut nachvollziehbar und lassen den Leser selbst nachdenklich werden ob der Vorstellung, in einer vergleichbaren Situation zu sein. Mut macht aber auch der Ideenreichtum von Alix, die sich trotz des Handicaps nicht unterkriegen lässt.

Die von der Autorin erschaffenen lebendigen Charaktere mit glaubwürdigen Ecken und Kanten nehmen den Leser in ihre Mitte und lassen ihn an ihrem Schicksal teilhaben. Alix‘ Leben verlief bisher wie geplant, doch der Unfall hat alles auf RESET gestellt. Alix definiert sich sehr über ihren Geruchssinn, der gleichzeitig ihre Geschäftsgrundlage ist, und stellt ihr gesamtes Leben in Frage. Diese Lebenseinschränkung lässt sie an sich und allen anderen zweifeln. Das Handicap lässt sie aber nicht aufgeben, sie braucht kurzfristig, um ihr Mütchen zu kühlen und dann mit Blick nach vorn neue Pläne zu machen. Tante Barbara ist eine Seele von Mensch, liebevoll und warmherzig steht sie Alix bei, obwohl sie eigene Sorgen hat. Max ist ein fürsorglicher und hilfsbereiter Mann, der Alix in ihrer Situation unterstützen möchte. Aber auch Johann überzeugt durch seine sympathische und umgängliche Art.

„Ein Sommer im Alten Land“ ist ein kurzweiliger Roman, der während der Lektüre im Kopf nicht nur wunderschöne Bilder malt, sondern den Leser am Schicksal der Protagonisten teilhaben lässt. Die Problematik um den Verlust eines Sinnesorgans löst nebenbei Gedanken aus, wie man selbst wohl mit solch einer Situation umgehen würde. Schön zu lesen und mit verdienter Leseempfehlung ausgestattet!