Rezension

Auf der Suche nach Tiefe

Das Lied der Tiefe -

Das Lied der Tiefe
von Kalie Cassidy

Bewertet mit 3 Sternen

Irgendwann in der langen Tradition des Geschichtenerzählens hat sich die Vorstellung von einer Sirene mit Flügeln zu Arielle, die kleine Meerjungfrau mit Fischschwanz umgearbeitet. Immerhin ist die Figur eine weibliche geblieben. In meinem Kopf muss ich aber nun doch die Anpassung hinbekommen, dass in Kalie Cassidys Roman mehr die griechischen antiken Erzählungen Vorbild für ihre Sirenenwelt waren, als der etwas modernere Hype um die verführerischen Meerjungfrauen. Beides scheinen mir Wesen, die eher von Männern erdacht wurden als von Frauen, aber das ist nochmal eine ganz andere Geschichte.

Nun, bei Kalie Cassidy bekommen die Sirenen Flügel, wenn sie das Lied des Meeres hören und können mit ihrem lockenden Ruf, über Männer gebieten. Grund genug für den König Nemea, Sirenen zu jagen und zu ermorden. In der restlichen Welt sind die Sirenen weniger gefährdet und können zum Beispiel im Königreich Varya unter der Herrschaft des jungen Theodors friedlich leben. Auf den Feierlichkeiten ihrer bevorstehenden Hochzeit begegnet Imogen Nel, das Mündel König Nemeas, König Theo und versucht mit seiner Hilfe ihrem Schicksal zu entkommen, denn auch Imogen trägt die Kräfte einer Sirene in sich.

Die Grundidee dieses Romans, der Teil einer Dilogie ist, gefällt mir. Cassidy baut eine Welt, die von verschiedenen Göttern erschaffen wurde, die noch fest im kollektiven Gedächtnis der Menschen verankert sind und deren Nachfahren zur Erzählzeit die verschiedenen Königreiche beherrschen. Leider nimmt sie sich nicht genug Zeit, um diese Welt auf ein solides Fundament zu stellen, sondern legt das Hauptaugenmerk auf die zwei Hauptfiguren Imogen und Theo, deren irritierende, wechselvolle Beziehung wohl die Spannung halten soll. Es hilft, um die Seiten umzublättern, aber es täuscht nicht über die Schwachheit der Sprache und der oberflächlichen Figurengestaltung hinweg. Imogen erhält zwar reichlich Raum für einen inneren Monolog nach dem anderen, aber ein Sympathieträger ist ihre Figur nicht. Ihr fehlen entscheidende Charakterzüge, die ihre Handlungen rechtfertigen könnten. Ähnlich ging es mir auch mit Theo, der zwar als absolut pflichtbewusst eingeführt wird, sich aber alles andere als danach verhält und gewissermaßen sein gesamtes Königreich für Imogen aufs Spiel setzt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in dem ersten Viertel oder Drittel eines Fantasyromans mehr Fragen als Antworten entstehen, aber es ist wirklich absolut unbefriedigend, wenn immer mehr Fragen durch die Handlung hinzukommen und keine letztlich wirklich beantwortet werden kann. Das macht auch die Figuren ab einem gewissen Punkt unglaubwürdig. Die Figur der Imogen erlebt in meinen Augen keine echte Entwicklung, sondern wird nur von äußeren Faktoren getrieben. Das macht es so schwer, sich mit ihr zu verbinden, es fehlt an Motivation und Tiefe. Sie ist aber diejenige, die den Leser aus ihrer Perspektive durch die Geschichte tragen soll und kommt mir irgendwann wie ein außenstehender Erzähler vor, der sich gar nicht wirklich für seine Welt interessiert.