Rezension

Aufarbeitung langjähriger Vergewaltigung.

Der Klang der Wut - James Rhodes

Der Klang der Wut
von James Rhodes

Bewertet mit 3.5 Sternen

Kurzmeinung: Muss man eigentlich lesen, obwohl es hintenraus nimmer so interessant ist.

Als kleiner Junge fünf Jahre lang immer wieder von einem skrupellosen Sportlehrer vergewaltigt, ist James Rhodes fürs Leben gezeichnet. Übrigens wie alle Vergewaltigungsopfer.

In seiner Autobiografie schreibt sich der 1975 in London geborene James Rhodes einen Teil seiner Wut von der Seele. Die er jedoch erst in einem mühseligen langjährigen Prozeß entdecken musste. Jahre nach dem Missbrauchsgeschehen holt ihn die Vergangenheit ein, er landet in der Klapse, er erzählt von sehr schlechten Einrichtungen und von sehr guten und wie er durch die Musik einen Rettungsanker fand, und durch die Konfrontation mit dem Gewaltverbrechen eine Art von Heilung seiner Seele erlebt.

Der erste Teil dieses Buchs begeistert mich. Der Autor erzählt von seinem inneren Erleben. Und er schreibt über Musik. Über klassische Musik. Diese eigenartige Kombination ist großartig. Die Sprache ist manchmal deftig …

Hintenraus geht es viel darum, wie er sich als Konzertpianist etabliert. Der spätere berufliche Werdegang und Erfolg haben mich allerdings nicht so sehr fasziniert oder auch nur interessiert wie die Beschreibung, wie er anfänglich zur Musik und insbesondere zum Klavierspielen fand und durch welche Hindernisse und Wunder er ohne Ausbildung so gut spielen konnte.

Manches habe ich nicht nachvollziehen können: zum Beispiel die Promiskuität. Ist sie wirklich zwingend? Oder war das nur James spezieller Weg? Nun, ich bin kein Experte, ich muss nicht alles verstehen und die Art, wie der Autor an die Klassik herangeht und viele Zuhörer erreicht (indem er Konzerte gibt, in denen er sowohl über die Musik redet wie auch sie vorträgt), ist ok, aber nicht meine. Was ich auch nicht verstehe, ist die Ausschließlichkeit seines Sujets: Die Vergewaltigung von männlichen Kindern. Auch das muss ich nicht verstehen. Es ist das Recht des Autors, zu schreiben, wie er will und von was er will, in welcher Sprache er will.

Grundsätzlich haben wir in unserem Rechtssystem ein täterbezogenes Strafrecht. (Dabei geht es in dem Buch gar nicht um Strafrecht). Möglicherweise geht es mir gegen den Strich, dass kaum jemand die Stimme für vergewaltigte Frauen erhebt. (Die meisten) Frauen schweigen, Männer schreien erlittenes Unrecht heraus (siehe James). Und dass das Strafmass für Vergewaltigung, immer noch die Zerstörung eines Lebens, genau wie bei James, lächerlich gering ist. Ja, mag sein, dass mich dieser Aspekt stört.

Fazit: Obwohl ich nicht alles nachvollziehen kann (und das auch nicht muss), ist dieses Buch teilweise ein erschütterndes Dokument darüber, was Vergewaltigungen anrichten, insbesondere, ja, das stimmt, bei Kindern und gleichzeitig eine Hymne an die Musik.

Wieviel wiegt es, dass mir des Autors Stimme nicht sympathisch war und ich thematisch einiges vermisste?

Kategorie: Autobiografie
Verlag: Nagel & Kimche im Hause Hanser, 2016

Kommentare

Sursulapitschi kommentierte am 04. Januar 2019 um 22:41

Au wei, hard Stuff. 

Steve Kaminski kommentierte am 05. Januar 2019 um 01:07

Es ist jetzt längere Zeit her, dass ich das Buch gelesen habe. Ich weiß nicht, ob Rhodes ein sympathischer Mensch ist (ich kann mir vorstellen, dass er das genaue Gegenteil ist, und vielleicht ging es Dir ähnlich und seine Stimme war Dir deshalb nicht sympathisch) - er geht ja selbst hart mit sich ins Gericht, mit seinem Verhalten gegenüber anderen Menschen. Dass er teils auf den Strich ging, war auch kein sympathischer Zug - aber es hing mit der Bedeutung zusammen, die Sexualität für ihn aufgrund des Missbrauchs bekam. Es musste nicht so sein, aber bei ihm war es so.

Er schreibt über sein Leben - und insofern ist die Vergewaltigung, die ihm als Jungen angetan wurde, Thema und nicht die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen. - Was mir gefällt: dass er absolut nicht wehleidig ist und sein Verhalten nicht entschuldigt. Er beschreibt, was die sexuelle Gewalt bewirkt hat, aber er übernimmt die Verantwortung für sein Tun (etwa die Manipulation anderer Menschen) und Unterlassen. Rhodes schreibt von seinem Fall, wie er sich entwickelt hat, auch wie ein Arschloch verhalten hat (so ähnlich dürfte er es auch ausdrücken), wie er zu leben versucht - einen unüblichen, späten Weg zur Musik fand. Damit, dass er schon von seiner Biografie her ein Außenseiter im Klassikgeschäft ist, hängt vermutlich auch seine demokratische Sicht und Klassikvermittlung zusammen.
 

wandagreen kommentierte am 05. Januar 2019 um 14:45

Er schaut aber auch nicht mit einem Satz über den Tellerrand. Und er ist extrem selbstbezogen.

katzenminze kommentierte am 07. Januar 2019 um 19:00

Schade. Es (er) hört sich wirklich recht unsympathisch an. Aber immerhin: Wieder ein Buch, dass ich nicht lesen muss. ^.^

wandagreen kommentierte am 07. Januar 2019 um 19:14

Hm, hm, das kann man so nicht sagen: lies mal Stevies Rezi dazu, vllt änderst du dann deine Meinung. Eine Zweitmeinung hilft manchmal.