Rezension

Aufräumen im Leben

Alle Tage, die wir leben - Dagmar Hansen

Alle Tage, die wir leben
von Dagmar Hansen

Bewertet mit 4 Sternen

„...Bücher im Regal sind wie Freunde, die darauf warten, dass man immer wieder offen ist für das, was sie zu sagen haben. Ich finde, meine Bücher haben ein neues Publikum verdient. Das ist spannender für sie, als bei mir weiter vor sich hin zu stauben...“

 

Tilda steht kurz vor ihrem 60. Geburtstag, als Günther lapidar das Ende ihrer Freundschaft verkündet. Dann bekommt sie einen Anruf, der ihr einen weiteren Schock versetzt. Tilda führt ein privates Schreibbüro. Ihr Hauptauftraggeber fällt aus gesundheitlichen Gründen aus.

Was ihr bleibt, sind ihre Freundinnen Dani und Anke. Auf gemeinsamen Kochabenden tauscht man sich über das Leben aus.

Die Autorin hat einen abwechslungsreichen Gegenwartsroman geschrieben. Ihre Protagonistin Tilda hat wenige Jahre nach der Hochzeit ihren Mann Kai durch einen Unfall verloren. Der Schock kostete auch ihrem ungeborenen Kind das Leben. Bisher allerdings schien Tilda mit ihrem Dasein im Reinen zu sein. Nur der Blick auf ihren 60. Geburtstag gefiel ihr nicht. Nun bricht auch die berufliche und finanzielle Sicherheit weg. Ab und an erinnert sie sich an Kais Lieblingswort:

 

„...Et hätt noch immer jot jejange...“

 

Im Internet sucht sie nach Arbeitsangeboten. Eine 84jährige Frau sucht eine Privatsekretärin. Sie will nach einer schwedischen Methode ihr Leben ordnen lassen.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen.

Auch Ruth ist in ihrem Leben durch manche Tiefen gegangen. Sie hat Fehler gemacht, die noch Spuren hinterlassen haben. Trotzdem wirkt sie lebensfroh. Sie stellt Tilda sofort ein.

Aufräumen bedeutet für sie nicht nur, sich von Überflüssigen zu trennen. Es geht auch darum, wie sie seelische Wunden und Verletzungen bereinigen kann. Das Eingangszitat stammt von Ruth.

Aufgefallen ist mir, dass Tilda eine gute Beobachterin der Natur ist. In ruhigen Momenten malt sie gedankliche Bilder.

 

„...Ein Schwarm Kohlmeisen flatterte von Zweig zu Zweig, in der mittleren Etage des Baumes entdeckte ich ein Ringeltaubenpaar, das immer so liebevoll miteinander schnäbelte. Am Baumstamm übte sich ein junger Buchspecht in der Kunst, eine Bruthöhle ins Holz zu hämmern...“

 

Tilda lässt sich von Ruths Optimismus anstecken. Sie gewinnt einen neuen Blick auf das Leben. Auch für Ruth bringt die Zusammenarbeit neue Gedanken. Als Außenstehende hat Tilda eine andere Sicht auf manche Verletzungen.

Hinzu kommt, dass ich mich als Leser an manchen Stellen gefragt habe, was in meinem Leben in diesem Sinne aufzuräumen wäre.

Aufgelockert wird das Geschehen immer wieder durch kurze WhatsApp-Gespräche von Tilda mit ihren Freundinnen, wo sie das Erlebte reflektiert.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ein Zitat von Ruth soll meine Rezension abschließen.

 

„...Was ich beim Weggeben besonders schön finde, ist die Tatsache, dass etwas von mir bleibt und ein anderes Leben bereichert. Etwas, was ich gern gehabt habe, was mich lange begleitet hat...“