Rezension

Aufrechte Menschen

American Spy - Lauren Wilkinson

American Spy
von Lauren Wilkinson

Bewertet mit 5 Sternen

Marie Mitchell lebt mit ihren vierjährigen Zwillingssöhnen in einer unbedeutenden Kleinstadt in Connecticut. Eines Nachts versucht ein Eindringling, sie in ihrem Haus zu umzubringen. Marie kann sich erfolgreich zu Wehr setzen und tötet den Angreifer. Mit gefälschten Papieren flüchte sie mit ihren Kindern nach Martinique zu ihrer Mutter Agathe. Dort beginnt Marie ein umfangreiches Tagebuch zu schreiben, über ihre Kindheit in den 1960ern, ihre Schwester Helene, die unbedingt zum Geheimdienst wollte und bei einem dubiosen Unfall ums Leben kam, über ihre eigene Tätigkeit als FBI Agentin bis hin zu ihrem Undercovereinsatz, bei dem sie den kommunistischen Anführer von Burkina Faso ausspionieren soll. Ein Einsatz, der ihr Leben für immer auf den Kopf stellt.

„American Spy“ ist der Debütroman der afroamerikanischen Autorin Lauren Wilkinson. Es ist ein brillant und stürmisch erzähltes Spionagestück, ein Stück Zeitgeschichte, eine Mischung aus Fakten und der Fiktion einer Romanze zwischen der jungen schwarzen Protagonistin Marie Mitchell und Thomas Sankara, dem Präsidenten von Burkina Faso.

In den 1980ern, in denen der Großteil der Geschichte angesiedelt ist, ist der Kalte Krieg in Amerika noch omnipräsent.

„Reagan hatte sich außenpolitische Ziele auf die Fahnen geschrieben, die zu dem Zeitpunkt so unmöglich klangen, dass sie kaum jemand ernstnahm: Er wollte nicht nur dafür sorgen, dass die USA im Kalten Krieg die Oberhand hatten, er wollte ihn gewinnen.“

Die Bedrohung durch die Sowjetunion und aller anderen kommunistischen Staaten  beschäftigt Bevölkerung wie Geheimdienste.

„Ich hielt Kommunismus für gefährlich….Reaganomics war nicht gerade eine menschenfreundliche Philosophie, und in Verbindung mit dem Hang unseres Landes zur Bestrafung bot sie den perfekten Nährboden für Rücksichtslosigkeit und Unbarmherzigkeit. Die Alternative war jedoch noch schlimmer.“

Die junge schwarze Marie Mitchell, die beim FBI mit der Rekrutierung von Informanten befasst ist, tritt beruflich auf der Stelle. Es ist ihr Geschlecht und ihre Hautfarbe die sich nicht vorwärts bringt- Als sie eine Suspendierung provoziert, wendet sich plötzlich die CIA an sie. Sie soll das Vertrauen von Thomas Sankara erschleichen, ihn diskreditieren, während der Geheimdienst einen amerikafreundlichen Gegenkandidaten zum Präsidenten von Burkina Faso etablieren will.

Der westafrikanische Staat Burkina Faso wurde von 1983 bis 1987 von Thomas Sankara regiert. Dies entspricht den Tatsachen. Sankara sah sich selbst als sozialistischen Revolutionär. Seine Devise lautete: „Vaterland oder Tod, wir werden siegen“  Seine Begegnung mit Marie mit allen Konsequenzen entstammt der dichterischen Freiheit der Autorin. Burkina Faso bedeutet übersetzt „das Land der aufrechten Menschen“. Marie erkennt in Sankara einen aufrechten Menschen, beginnt die Sinnhaftigkeit ihrer Mission zu hinterfragen.

„Man kann einen Revolutionär umbringen, aber man kann nie die Revolution umbringen.“

Der Roman enthält alle Elemente eines spannenden Spionageromans. Allein der Beginn des Buchs, als ein Unbekannter in Maries Haus einbricht, um sie zu eliminieren katapultiert den Leser mitten ins Geschehen. Aber es ist weit mehr als ein Thriller. Alles was nach dem Attentat auf Marie geschrieben steht, ist ihr Tagebuch, die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte, ihrer Rolle als schwarze Frau in einem Rechtssystem, das Menschen ihrer Hautfarbe (und das bis in die heutige Zeit) diskriminiert und ein Vermächtnis an ihre Söhne, schwarze amerikanische Jungs, für die es noch lange keine Sicherheit bedeutet, zur Mittelschicht zu gehören.

„Ich hoffe, ihr wachst zu Männern heran, in denen sich die besten Eigenschaften von mir und eurem Vater vereinen. Ich hoffe, ihr werdet den Mut haben, euch gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen, wann immer ihr dazu aufgerufen seid. Ich hoffe, ihr werdet frei und heftig lieben. Auf diese Art, so hoffe ich, werdet ihr gute Bürger sein.“

Vielleicht ist dieses Buch kein Thriller. Das muss es auch nicht, um großartig, komplex, vielschichtig und spannend zu sein.