Rezension

Aufregende Zeit entspannt erzählt

Die Schule am Meer - Sandra Lüpkes

Die Schule am Meer
von Sandra Lüpkes

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman von Sandra Lüpkes erzählt oberflächlich betrachtet den gesamten Lebenszyklus eines Internats auf Juist. Er startet kurz nach der Gründung des Internats als nacheinander die jüdische Lehrerin Anni Reiner und der Pianist und Dirigent Eduard Zuckmayer, späterer Musiklehrer, auf der Insel ankommen. Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den Lehrmethoden und den Ritualen an der Schule, die ihre praktischen Lerninhalte im Einklang mit der Natur und im gleichberechtigten Miteinander von Schülern und Lehrern vermittelt.

Die Geschichte auf das Schulkonzept zu reduzieren, würde jedoch das, was den Roman ausmacht, unterschlagen. „Die Schule am Meer“ berichtet über Sorgen und Nöte von Männern und Frauen, thematisiert die Ängste der Kinder, befasst sich mit der entbehrungsreichen Zeit nach dem Großen Krieg und erklärt im Erzählen die Beweggründe für manche Missetat. Sandra Lüpkes vermittelt mit ihrem Bericht über Jungenstreiche, Mutproben und Freundschaft einen Gesamteindruck zum Lebensgefühl der Menschen in der Weimarer Republik. Zugleich beleuchtet sie den schleichenden, zunächst noch recht stillen Aufstieg der Nationalsozialisten.

Betrachtet man die Figuren, so haben es mir die beiden schon erwähnten Lehrer und der Schüler Maximilian am meisten angetan. Anni Reiner ist mir besonders nah. Sie hinterfragt immer wieder ihr gemeinsames, aber auch ihr eigenes Handeln. Nur so ist Weiterentwicklung möglich. Anni ist stets engagiert und auch wenn ihr das Leben mächtig übel zuspielt, lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Mit Mut und Cleverness behält sie stets das Ziel im Auge. Den von ihr verkörperten Emanzipationsgrad im Zusammenhang mit dem zeitlichen Hintergrund fand ich einfach nur faszinierend.

Eduard Zuckmayer zeichnet sich durch ein überdurchschnittliches Einfühlungsvermögen aus. Ob dies aus seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg resultiert oder in seiner Verbundenheit zur Musik begründet ist, lässt sich nicht abschließend feststellen. Seine Entwicklung vom Kriegsversehrten hin zum Vorbild für seine Schüler, das auch in der Lehrerschaft Hochachtung genießt, habe ich ebenso gemocht, wie seine stille Liebe.

Maximilian, Moskito genannt, war für mich der Abenteurer schlechthin in diesem Roman. Obwohl er als typischer Underdog an der Schule am Meer beginnt, findet er schnell Anschluss und wächst nach und nach über sich hinaus. Dabei vergisst er nie, wo er herkommt und wem er was zu verdanken hat. Sein Gemeinschaftssinn und sein unnachgiebiger Einsatz für andere verkörpern wohl am besten die pädagogische Ausrichtung der Schule.

Ich habe „Die Schule am Meer“ sehr gern gelesen. Beginnend ab 1925 habe ich dabei ein ganzes Jahrzehnt bereist und einen Querschnitt der Gesellschaft durch die verschiedenen Charaktere kennengelernt. Freud und Leid sind genauso mit von der Partie gewesen wie Abenteuer und Liebe. Dabei ist der Roman zu keinem Zeitpunkt ins Schnulzige abgedriftet. Sehr zuvorkommend habe ich auch den angenehm flott lesbaren Schreibstil empfunden. Die recht langen Kapitel, die ich normalerweise nicht so mag, fielen dadurch nicht weiter ins Gewicht. Witzig fand ich die Wahl der Kapitelüberschriften.