Rezension

Aufrüttelndes, schockierendes Buch, das unter die Haut geht.

Wer ist Edward Moon? - Sarah Crossan

Wer ist Edward Moon?
von Sarah Crossan

Kennt ihr diese Bücher, die euch ganz unerwartet treffen und nicht mehr loslassen? Die euch schockieren, fesseln und zu Tränen rühren und ihr könnt Wochen, Monate danach noch immer nicht aufhören, an sie zu denken? Für mich ist "Wer ist Edward Moon?" so ein Buch: ich hatte während des Lesens Gänsehaut, spürte eine tiefe Traurigkeit in mir und fühlte mich von der Macht der Worte überwältigt. So möchte ich im Folgenden weniger den Anspruch einer Rezension erheben, sondern vielmehr dem Roman meine Liebe bekunden. 

Einen ehemals vertrauten Bruder, der seit einem Jahrzehnt im Gefängnis sitzt und dessen Todesdatum bereits festgelegt ist, zum ersten Mal wieder zu besuchen, ist ein Grundszenario, das mich seit der ersten Seite gepackt hat. Dieser innere Zwang, jeden Moment maximal zu genießen, weil Zeit das einzige ist, worauf es jetzt noch ankommt, die sogar Konflikte und Uneinigkeiten überwindet, da sie für Ed bald abläuft, erzeugt im Lesepublikum eine derart klaustrophobische Wirkung, dass mir bei dem bloßen Gedanken an die geplante Hinrichtung das Herz höher schlug. 

Joe tritt hier als äußerst glaubwürdiger Charakter auf, dessen Gefühlslage und düsteren Gedanken jederzeit verständlich sind. Seine Furcht, etwas falsch zu machen, vor der Wahrheit, vor dem Tag X, die daraus resultierende Wut und Resignation sind nahezu greifbar. Seine ehemalige starke brüderliche Verbindung zu Ed ist ein rührendes zentrales Motiv, das voller so viel Liebe steckt und zunehmend bitter in der Kehle stecken bleibt, wenn man realisiert, dass jede gemeinsame Sekunde gezählt ist. Das erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die sehr ungemütlich werden kann. 

Geschickt verwebt die Autorin die Handlungsstränge der Gegenwart mit der Vergangenheit, um durch das persönliche Leben langsam das Mysterium um Edward Moon aufzuschlüsseln. Die Nebencharaktere, häufig aus dem engeren Familienkreis, sind ebenfalls gut ausgearbeitet und haben eigene Ecken und Kanten, eigene Fehler und eigene Hoffnungen, Träume. 

Der vorliegende Roman wird in Versform wiedergegeben. Mit dieser geringen Wortanzahl reduziert sich die Autorin auf das Nötigste und schafft es, mich mit einem Satz, mit einem Wort derart ins Mark zu treffen, dass ich während der Lektüre im Bus Tränen vergießen musste. "Wer ist Edward Moon?" ist ein Musterbeispiel für die Kraft von Sprache, selbst mit wenigen Worten so viel auszulösen. 

In diesem Buch wird dein Gerechtigkeitssinn vollkommen auf den Kopf gestellt und die zunehmende, langsam herankriechende Aussichtslosigkeit greift wie eine Klaue um dich, der du nicht entkommen kannst: Mit kritischer Bissigkeit hinterfragt die Autorin die Selbstlegitimation der texanischen Judikative. Der triste Schauort zeugt von einem Hoffnungsdefizit; ich werde so wütend wegen dieser befremdlichen Sinnlosigkeit, Menschen des stumpfen Rachegedankens und des Abschreckungswillens wegen das Leben zu nehmen.

«Wer ist Edward Moon?»  
ist ein aufrüttelndes, schockierendes Buch, das unter die Haut geht und nicht mehr loslässt. Ich möchte eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen.