Rezension

Aufwühlend und gewohnt brilliant

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

Michka war eine stets unabängige und selbstständige Frau. Doch im Alter verliert sie immer mehr die Möglichkeit sich auszudrücken. Die Wörter entfallen ihr zusehends, sie findet die richtigen nicht mehr und ersetzt sie deshalb durch ähnlich klingende. Als sie dann auch noch immer öfter stürzt, muss sie in ein Altenheim ziehen, ihre einzigen Besucher sind ihre Ziehtochter Marie und ihr Logopäde Jérome. Geplagt von Alpträumen steigt ihre Angst vor der Zukunft und vollends die Kontrolle über ihre Sprache zu verlieren, bevor sie ihren letzten Wunsch umsetzen konnte. Sie wurde als kleines Mädchen von einem ihr unbekannten Ehepaar versteckt und beschützt, doch sie hatte nie die Gelegenheit ihnen zu danken. Dieses Versäumnis nagt sehr an ihr und setzt ihr merklich zu.

Delphine de Vigan hat mit "Dankbarkeiten" wieder ein sehr berührendes Buch geschaffen. Es gelingt ihr meisterhaft auf nur wenigen Seiten ein Gefühl beim Leser entstehen zu lassen. Mit jedem Wort, jedem Satz zerreist mein Herz ein bisschen mehr. Michka verliert nach und nach die Kontrolle, sie hat Angst und versucht alles mögliche um sich ein selbstbestimmtes Ende zu ermöglichen. Der Leser verfolgt Michkas Weg bis zum Ende, ihre Verzweiflung war für mich greifbar und innerlich spürbar. Sie hat mich zutiefst berührt, die tiefe Leere die sich in ihr ausbreitet hat mich zu Tränen gerührt. Auch Marie und Jérome fand ich tief berührend. Ihr Versuch, die alte Frau aufzumuntern, ihr ihre Sprache zurückzugeben und wie sie sich um sie Sorgen. Sie haben eigene Dinge zu bewältigen und fühlen sich doch irgendwie mit Michka verbunden, sie hat einen Platz in ihrem Herzen erhalten.

Delphine de Vigan hat einen einzigartigen Schreibstil, kein Autor/keine Autorin berührt mich mit ihren Büchern so sehr wie sie. Mit nur wenigen Worten schreibt sie sich in mein Herz und nach nur einer Seite nehmen mich ihre Geschichten gefangen. Nie behandelt sie einfache Themen und auch hier sind Themen wie das Vergessen, nicht bewältigte Situationen aus der Vergangenheit, verpasste Möglichkeiten, vertane Chancen keine einfache Kost. Doch de Vigan meistert diese so gekonnt, dass trotz all der Trauer, diebeim Leser aufkommt, die Verzweiflung nie die Oberhand gewinnt. Trotz allem wird auch Hoffnung vermittelt, dass am Ende alles gut ausgehen kann. Auch wenn Michka zunehmend resigniert, gelingt es ihr zu hoffen, dass sie ihr letztes Danke noch aussprechen kann.

"Dankbarkeiten" ist ein Appell Danke zu sagen. Danke für Kleinigkeiten, Danke für Wichtiges, Danke für Unwichtiges, ein Danke das man wirklich so meint, das einen mit anderen verbindet und das es einem ermöglicht am Lebensende vielleicht zufrieden auf die Vergangenheit blicken zu können. Es ist ein unglaublich menschliches Buch, das trotz schwieriger Themen den Leser zum Lachen bringt ohne zu gewollt zu wirken. Es ist ein einzigartiges Buch, berührend, emotional und gewohnt brilliant geschrieben.