Rezension

Aus der Dunkelheit

Die Welt in allen Farben - Joe Heap

Die Welt in allen Farben
von Joe Heap

Bewertet mit 4 Sternen

~~Man stelle sich vor, ein Mann wird blind geboren und man lehrt ihn, durch Betasten zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Wenn man ihm nun als Erwachsenem das Augenlicht geben könnte, wäre er dann durch bloße Anschauung, noch vor dem Betasten, in der Lage, die Kugel vom Würfel zu unterscheiden? (W. Molyneux)

Nova ist seit ihrer Geburt blind. Dann gibt es da plötzlich eine Operationsmethode, die ihr das Sehen ermöglicht. Lange zögert Nova, sie fühlt sich sicher in ihrer dunklen Welt und weiß nicht, was danach kommen wird.

Kate ist eine recht erfolgreiche Architektin, aber es gibt einen dunklen Punkt in ihrem Leben. Nach zwei Jahren ehe ahnt sie, dass Tony sie nicht liebt, sondern beherrscht. Sie wird immer kleiner bis zu dem Tag, als Tony sie stößt und sie schwer stürzt. Ein Hämatom breitet sich unbemerkt immer weiter in ihrem Kopf aus, bis sie ins Koma fällt.

In der Klinik treffen sich Kate und Nova und für beide Frauen beginnt Schritt für Schritt und langsam tastend ein Weg in ein farbiges Leben.
Dieser Roman verursachte mir Gänsehaut . Ich versuchte mir vorstellen, wie es ist zu sehen, wenn man vorher nicht wusste, was „sehen“ ist. Wenn Farben und Formen fremd und unverständlich sind, wenn man Gesichter sieht und sie nicht deuten kann. Das alles ist für Sehende völlig unverständlich und trotzdem hat es die Autorin geschafft, mir eine Ahnung davon zu geben. Sie erzählt Novas erste Monate als Sehende unglaublich einfühlsam und sensibel.
Auch die Geschichte von Kate hat mich berührt. Wie sich allmählich in ihr Auflehnung gegen ihr kontrollsüchtigen und gewalttätigen Mann regt, wie sie mit Hilfe von Novas Freundschaft sich auf ihre Stärke besinnt, war großartig.

Die Autorin hat die Geschichte ihrer beiden Protagonisten beeindruckend erzählt dass sich Kate und Nova dann ineinander verlieben, war für mich eine logische Fortführung. Allerdings fand ich die Liebesgeschichte mit ihren Dialogen und Szenen bei weitem nicht so stark, wie die Entwicklung der beiden Frauen.

Ich finde das Schriftbild des Buches ebenfalls der Erwähnung wert. Es wird mit Schriftgrößen und Formen gespielt. So gibt sich Nova in den ersten Wochen „Sehregeln“, die abgesetzt vom Text sind. Jede dieser Regel fällt sofort ins Auge und regen zum Nachdenken an. Dann gefiel mir ganz besonders ein Stern aus Text, der symbolisiert, wie Nova zum ersten Mal nach einem Stern im Nachthimmel sucht.

Ein beeindruckender und berührender Roman, dem ich viele Leserinnen wünsche.