Rezension

Aus der Zeit der Franco-Diktatur

Der Feind meines Vaters - Almudena Grandes

Der Feind meines Vaters
von Almudena Grandes

Bewertet mit 3.5 Sternen

Nino rückte als Neunjähriger in die Gruppe der "Großen" auf, als ihm seine Mutter aus einer Glas-Pfandflasche und einer dicken Stoffpolsterung eine Wärmflasche fertigte. Den "Kleinen" vertraute man in Ninos andalusischem Dorf noch keine kostbare Glasflasche an, sie brachten im Winter jeden Morgen einen aufgeheizten Stein mit in die Schule, damit er ihnen im eisigen Klassenzimmer die Füße wärmte. Nino ist das mittlere Kind eines Guardia Civil Polizisten zur Zeit der Franco-Diktatur im Spanien der Nachkriegszeit. Die Familie lebt in der Polizei-Kaserne, Wand an Wand mit den Räumen, in denen Gefangene gefoltert und Frauen vergewaltigt werden. Die Eltern erklären ihren Kindern die unheimlichen Geräusche damit, dass die Kollegen des Vaters nachts Filme sehen würden. Später einmal wird Nino die schwierige Situation seiner Mutter verstehen, die täglich den verwitweten Nachbarinnen in die Augen sehen muss, deren Männer als Unterstützer der "Roten" von ihrem Mann und dessen Kollegen "auf der Flucht erschossen" oder zu Tode gequält worden sind. Ninos Vater hätte seinen Sohn gern ebenfalls einmal im Polizeidienst versorgt gewusst. Doch Nino wächst so langsam, dass die paramilitärische Guardia Civil ihn vermutlich nicht einstellen wird. Der Vater lässt Nino privaten Schreibmaschinenunterricht geben, damit er zukünftig wenigstens damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Zwei Erwachsene geben in der beschriebenen Zeitspanne von zwei Jahren Ninos Leben wichtige Impulse: seine Schreibmaschinen-Lehrerin, die mehrere Obstkisten voller Bücher besitzt und freigiebig an Nino verleiht, und Pepe, "der Portugiese", ein Fremder im Dorf, mit dem Nino sich anfreundet. Der Junge selbst erlebt die Ereignisse wie eine Reihe von Abenteuern. Wie Nino hinter den Notlügen seiner Eltern zum Schutz der Kinder allmählich erkennt, wo quer durch das Dorf und mitten durch die Familien die Linie zwischen Freiheitskämpfern und Polizei verläuft, beschreibt die spanische Autorin sehr berührend. Für den erwachsenen Leser sind ähnlich Kassibern für die Aufständischen in den Bergen in der Abenteuergeschichte zusätzliche Botschaften enthalten u. a. zur Rolle des Vaters, der um seine Familie zu ernähren nur die Möglichkeit hat, Befehle eines Unrechtssystems auszuführen.

Fazit
Für einen in der Ichform erzählten Roman aus der Sicht eines Neunjährigen überlädt Almudena Grandes ihre Handlung mit zu vielen Details, für die sich ein Grundschüler in Ninos Lebensumständen vermutlich kaum interessiert hätte. Ein extremes Beispiel dafür findet sich auf Seite 311, wo Nino als Elfjähriger (!) über Liebe, Ehe, Schuld, Ehre und Vaterland monologisiert. Die unglaubwürdige Erzählperspektive ist umso verwunderlicher, weil Almudena Grandes sonst exakt beachtet, welche Informationen Nino zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt sein können und wie er sie aus seiner kindlichen Perspektive interpretiert. Der erwachsenen Leser dagegen kann aufgrund von Ninos Beobachtungen entscheidende Schlüsse viel früher ziehen als der jugendliche Erzähler selbst. Trotz der misslungenen Perspektive bietet der Roman, zu dem die Autorin durch die Kindheitserlebnisse eines Freundes angeregt wurde, neben stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen einen lebendigen historischen Hintergrund, liebenswerte Figuren und eine glaubwürdige Schilderung der Lebensumstände in einem spanischen Bergdorf der 40er Jahre.