Rezension

Aus Spaß wird ernst

Nackt über Berlin
von Axel Ranisch

Jannik ist ein normaler Sechzehnjähriger aus Berlin. Normal? Fast. Jannik liebt klassische Musik und komponiert gern. Und er ist in der sexuellen Orientierungsphase, denn er merkt, dass er für seinen vietnamesischen Kumpel und Mitschüler Tai schwärmt, ein IT-Genie, der immer mit der Kamera bewaffnet, Momente einfängt, um sie so digital auf einem Datenträger festzuhalten. Beide sind Außenseiter und kämpfen sich mehr schlecht als recht durch den schulischen Alltag. Eines Abends begegnen sie ihrem Schuldirektor Jens Lamprecht, einem äußerst strengen und moralisch festen Zeitgenossen, der sturzbetrunken durch Berlin taumelt. Kurzerhand entführen sie ihn in seine Wohnung und schließen ihn dort ein. Was als kleiner Jungenstreich für Jannik begann, wird bald ernst. Denn Tai spielt sein eigenes Spiel mit dem Direktor, was so perfide ist, dass dieser in einer Art Seelenstriptease eine Höllenfahrt der Gefühle durchlebt - mit einem Ziel, die Wahrheit über den Tod einer Mitschülerin zu erfahren.

Was am Anfang der Geschichte mit einer lockeren und leichten Erzählung beginnt, entwickelt sich für den Leser im Verlauf tatsächlich zu einer tiefgründigen und ernsten Geschichte, die mich als Leserin angesprochen und zum Nachdenken angeregt hat. Mich hat die Geschichte der beiden Freunde sehr überzeugt. Denn Axel Ranisch gelingt es auf eine sehr humorvolle und teils skurile Art und Weise sehr authentische Charaktere zu zeichnen, die mit ihrer Sprache und Handlungsweise überzeugen können. Jannik ist mir von Anfang an sehr sympathisch und auch seine Entwicklung - seine Zweifel und sein innerer Kampf, ob er das Richtige tut und nicht zuletzt seine Gefühle zu einem gleichaltrigen Jungen, die in einem genialen Coming-Out-Moment vor seinen Eltern gipfelt, machen ihn zu einem sehr glaubhaften Helden und Protagonisten. Tai bleibt hingegen durchaus undurchsichtig, weil seine eigentlichen Motive immer irgendwie im Verborgenen bleiben. Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt - der von Jannik und des Schuldirektor Jens Lamprecht - wird der Leser auf einer turbolenten Achterbahnfahrt mitgenommen, die durchaus ernste Töne anschlägt. Die Entwicklung des Schuldirektors hin zum reuigen "Sünder" wirkt zwar teilweise etwas überspannt, aber passt letztlich doch in diese schnell erzählte und dynamische Geschichte. Die lockere Sprache, die teils skurilen, unterhaltsamen Momente und nicht zuletzt ein wirklich toll gestaltetes Cover machen dieses Buch aus meiner Sicht zu einer echten Leseempfehlung.