Rezension

Ausharren bis der Braunkohlenbagger kommt ...

Unter der Erde - Stephan Ludwig

Unter der Erde
von Stephan Ludwig

Bewertet mit 4 Sternen

Elias Haack hat seit Jahrzehnten nichts mehr von seinem Großvater gehört, als eine vergilbte Ansichtskarte mit der Einladung zum 90. Geburtstag des alten Wilhelm eintrifft. Seine Fahrt nach Volkow an den Rand des Braunkohletagebaus in der Lausitz endet abrupt – er hat auf der mehr als löcherigen Fahrbahn eine Panne. Aus Elias Plan, Wilhelm nur kurz zum Geburtstag zu gratulieren und schnell wieder zu verschwinden, wird so bald nichts werden. In Volkow führt die Dorfstraße in der einen Richtung direkt ans Tagebaugebiet, auf der anderen Seite riegelt eine für den Verkehr gesperrte Brücke das Dorf ab. Handy-Netz ist hier Glücksache. In wenigen Monaten wird der Bagger das Dorf beseitigen. Wie auf einem Brückenkopf, der in ein riesiges Brachgelände ragt, harren die letzten Einwohner aus - Arzt, Pfarrer, Automechaniker, Opa Wilhelm und seine Haushaltshilfe. Jeder Volkower scheint auf eine besondere Art durchgeknallt zu sein. Dass Betty den alten Wilhelm nicht im Stich lassen will, scheint ebenso logisch wie Felix Kolbergs Sorge um seinen geistig behinderten Bruder. Für Elias, den erfolgreichen Autor banaler Horror-Fantasy-Bücher, wird es allmählich unheimlich, wie genau sich Wilhelm über ihn informiert hat. Weshalb harrt Wilhelm hier aus und was sind das für alte Geschichten, die sich um den Winter nach Kriegsende ranken, als Wilhelm beschließt, nie mehr zu hungern? Seit Elias in Volkow ist, bedrängen ihn Flashbacks. Als Vierjähriger hat er in diesem Haus bei Wilhelm gelebt – und sich gefürchtet.

Eine Handlung in der Gegenwart, Flashbacks ins Jahr 1985 und Wilhelms eingeschobene Erlebnisse im Hungerwinter 1945/46 fügen sich zu einem Genre-Mix samt Krawall-Anteil und ironischer Autoren-Bespiegelung. Eine abgelegene Gegend mit bröckelnden Lost Places, ein Untergrund, der zu leben und zu sprechen scheint, und mittendrin eine Handvoll skurriler Typen – das klingt nach einem spannenden Setting. Rückblenden auf zwei Zeitebenen zwingen dazu, die eigene Wahrnehmung immer wieder infrage zu stellen. Die Krimihandlungen zugrundeliegende Logik habe ich streckenweise vermisst. Im Vergleich zu den schlagfertigen Dialogen enttäuscht mich die flache Sprache der beschreibenden Passagen mit schulaufsatzmäßig eingestreuten banalen Adjektiven: bleiches Mondlicht, dunkle Augenringe, ein ängstlicher Schrei … Die Lausitz als Krimi-Schauplatz hat jedenfalls Potential.