Rezension

Außen wow, innen mau!

NACHTWILD - Gin Phillips

NACHTWILD
von Gin Phillips

Bewertet mit 2 Sternen

Neben mir sitzt ein schwarzes Raubtier und schnurrt mich in voller Lautstärke an. Gerade hat es in mörderischer Jagd eine Motte erlegt. Nun fordert es Streicheleinheiten zur Belohnung. Diese Art der Jagd ist mir verständlich und obwohl ich auch ein bisschen Mitleid mit der Motte habe, so verstehe ich die Natur meiner Katze. Sie muss in Übung bleiben, falls ich als Futterspender einmal ausfalle und sie sich ihre Nahrung wieder selbst organisieren muss. Sie ist ein Raubtier, zwar domestiziert, aber ein Raubtier. In Gin Phillips Roman gibt es keinerlei natürliche Argumente für die Jagd, die an diesem Vorabend im städtischen Zoo stattfindet. Es sind Menschen, die andere Menschen jagen und töten. Ohne Not. Ohne Gründe. Nicht um zu überleben. Aus Spaß? Aus fehlgeleiteten Prinzipien? Aus dem Wunsch heraus unsterblich zu werden? Für Joan zählt der reine Überlebenswille. Nachdem sie die Knallgeräusche als Schüsse eingeordnet hat und die ersten leblosen Körper sichtet, geht es ihr nur darum sich und ihren vierjährigen Sohn Lincoln aus der Gefahrenzone zu bringen und nicht gefunden und erschossen zu werden. Sie kennt den Zoo gut, findet ein gutes Versteck, doch es ist Abend und ein kleiner Junge lässt sich nur begrenzte Zeit hinhalten, still zu sein, den Hunger zu ignorieren und der Mutter klaglos Folge zu leisten. Joan muss sich etwas einfallen lassen und möglicherweise ihre Deckung aufgeben. Es ist ein interessanter Ansatz, den Gin Phillips hier verfolgt. Amokläufe charakterisieren mittlerweile leider die negativen Seiten unserer Zivilisation. Sie gehören zum Gefahrenbild ebenso dazu, wie die Möglichkeit mit dem Flugzeug abzustürzen oder im Straßenverkehr zu verunglücken. In den USA ist es wahrscheinlicher auf heimischen Boden erschossen zu werden, als bei einem Kriegseinsatz als Soldat im Ausland. Laut Statistik kommen 101 Waffen auf 100 US-Einwohner, allerdings besitzen 50,5 dieser Schusswaffen nur 19 erwachsene US-Bürger, die restlichen 50,5 Waffen teilen dann 3 Erwachsene unter sich auf. Im Umkehrschluss laufen also 78 Menschen ohne Schusswaffen durch ihren Alltag und sind Freiwild für die 3 extremen Waffennarren. Das ist auch so ungefähr die Situation im Zoo. Und wie in allen Extremszenarien überlegt man als Leser unweigerlich, wie man sich wohl selbst verhalten würde. Ich versetze mich in Joans Lage und bewundere sie ein Stück für ihre instinktive Analyse der Situation, dem sofortigen Handeln und ihrem taktischen Denken. Doch irgendwie ist diese ganze Geschichte nicht richtig rund. Joan hat mit ihrem Handy Kontakt nach draußen zu ihrem Ehemann. Polizei sei vor Ort, heißt es vom Mann und dem Internet. Und doch passiert über Stunden nichts. Die Schützen patrouillieren durch den Zoo und versuchen die verbliebenen Besucher in ihren Verstecken aufzustöbern. Über ihre Motive zu dieser Tat erfährt man bis zum Schluss nur vage Andeutungen. Die Tiere sind in ihren Gehegen, doch wo sind die vielen Tierpfleger? So ein Zoo ist doch in der Regel ein Riesengelände, wie soll das von so wenigen Angreifern kontrolliert werden können? Angreifern, die noch grün hinter den Ohren scheinen. Was ist mit den Verwaltungsgebäuden, den Versorgungstrakten? Gibt es nicht auch Betäubungsgewehre, falls ein gefährliches Tier mal krank ist und untersucht werden muss? Insgesamt wirkt die Handlung viel zu konstruiert auf mich. Wie die Figur von Joan angelegt ist, gefällt mir zwar, vor allem in der Beziehung zu ihrem Sohn. Ich kann auch bis zu einem gewissen Grad den einen offensichtlich psychisch gestörten Angreifer einordnen. Es gibt in unserer Gesellschaft eben Soziopathen und Psychopathen und viele gestörte Menschen mehr. Aber mir missfällt ganz stark dieses permanente Mitschwingen von Gewalt als Normalität. Zwei von drei weiblichen Figuren der Handlung haben Väter mit einem Hang zur Tierquälerei. Joans Bruder, der ihr noch nicht mal nahe steht, hat sie dennoch an seiner militärischen Ausbildung teil haben lassen. Allein diese Geschichte mit der Ziege hätte mich das Buch am liebsten bei Seite legen lassen. Und die Autorin dankt im Anschluss an die Story ihrem eigenen Bruder für genau diese Geschichte. Das geht gar nicht. Hier schreibt eine Autorin allein, um das vermeintliche Genre zu bedienen und die Kasse klingeln zu lassen. Es geht jedenfalls nicht um eine reflektierte Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und dem kritischen Umgang mit Schusswaffen. Vielleicht erwarte ich da auch zu viel von einem Thriller. Aber wenigstens ein glaubhaftes Motiv für diese sinnlose Ballerei kann doch nicht zu viel verlangt sein – selbst in einem Unterhaltungsgenre.