Rezension

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Außergewöhnlich und berührend

Lilys Engelskostüm hat kaputte Flügel - Hanna-Linn Hava

Lilys Engelskostüm hat kaputte Flügel
von Hanna-Linn Hava

Außergewöhnlicher und berührender Coming-Of-Age Roman mit einer Protagonistin, die das Asperger-Syndrom hat ohne es zu wissen

“Lilys Engelskostüm hat kaputte Flügel” von Hanna-Linn Hava ist ein außergewöhnlicher Coming-of-Age Roman. Die Protagonistin Lily hat das Asperger-Syndrom, doch sie ist sich dessen nicht bewusst. Sie weiß nur, dass sie anders ist. Nicht dazu gehört. Lily sieht sich als Monster. Es ist eine berührende Geschichte, eines Mädchens, das nicht weiß, warum sie so ist wie sie ist und wieso die Gesellschaft sie so verstößt. Als Leser*in bekommt man ganz intim ihre Erfahrung erzählt, sodass ich gar nicht anders konnte, als am Ende des Buches zu weinen, weil die Welt so ungerecht zu ihr ist.

Bei dem Sohn der Autorin wurde 2014 das Asperger-Syndrom diagnostiziert und bei ihr selbst ein dementsprechender Verdacht geäußert. Seitdem setzt sie sich intensiv mit dem Thema Autismus auseinander, sodass ich mir sicher bin, dass die Darstellung von Lily realitätsnah ist.

Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil lernen wir Lily ausführlich kennen. Wie sie mit Menschen in ihrem Umfeld interagiert, aber auch wie sie diese beobachtet und analysiert, wie ihre Gedankengänge verlaufen und wie dumm sie alle findet. Auch uns, die Leser*innen, und obwohl sie einen so oft beleidigt, ohne es als Beleidigung zu meinen, hat mir ihre zynische Art sehr gut gefallen. Es ist sehr erfrischend zu sehen wie ein Charakter sich so arrogant und herablassend ausdrückt und sich dessen gleichzeitig aber auch bewusst ist. Zwar habe ich bestimmt ganz oft die Augen verdreht, weil sie wieder einmal etwas total überhebliches von sich gab, aber gleichzeitig empfinde ich all ihre Kritik an unserer Gesellschaft als gerechtfertigt. Außerdem war sie so schön schonungslos ehrlich, was ich sehr zu schätzen wusste. Lily hat ihr Bestes gegeben sich an der Gesellschaft anzupassen und dann “unsichtbar zu werden” bis sie nun mal nicht mehr konnte.
Toll fand ich es auch, dass Lily quasi Teile meiner Gedanken während dem Lesen erraten konnte. Als sie bspw. die Leser*innen in Geschlechterrollen gedrängt hat, war ich sofort erbost und konnte mir aber ein Lachen nicht verkneifen, weil Lily genau das kurz darauf angesprochen hat. Das einzige, was mir nicht so gefallen hat, waren die (wenigen) kurzen englischen Einwürfe wie "That's it". Ich habe sie als eher unpassend empfunden.

[SPOILER]
Als Lily im zweiten Teil ihre Diagnose erhielt, konnte ich regelrecht die Erleichterung spüren und habe gehofft, dass alles besser wird. Diese Hoffnung (diese miese Schlampe) wurde sofort vernichtet, als klar wurde, dass sich für sie nichts verändert hat. Ich hatte wirklich Angst um Lily gehabt, als sie sich von allen verabschiedet hat. Umso dankbarer war ich für den Epilog. Dieser hat mich berührt und die Hoffnung wieder aufkeimen lassen, dass vielleicht doch alles wieder gut wird.

Große Leseempfehlung an alle!