Rezension

Außer_ordentlich

Außer sich - Sasha Marianna Salzmann

Außer sich
von Sasha Marianna Salzmann

Bewertet mit 5 Sternen

Ali ist Alissa ist Anton. Oder auch nicht.
Alissa und Anton sind Zwillinge, Kinder russisch jüdischer Auswanderer. Umgetopft, ihrer Wurzeln beraubt,  werden sie früh von Russland nach Deutschland verfrachtet. Als eines Tages Anton vermeintlich nach Istanbul verschwindet, macht sich Alissa auf, ihn zu suchen.

In Außer sich hantiert die Autorin Sasha Marianna Salzmann virtuos mit Identitäten, sexueller Rollen, Perspektiven und zeitlicher Abläufe. Die Suche Alis nach dem Bruder entwickelt sich zu einer ganz persönlichen Selbstfindung. Die Erzählung der Geschehnisse in Istanbul wird immer wieder durchbrochen mit der Schilderung der Familiengeschichte von der Urgroßelterngeneration im Vorkriegszeit die bis zur Auswanderung der Familie nach Deutschland und dem dortigen weiteren Werdegang. Russisch-sowjetische Geschichte, der Umgang mit Juden in diesem Land, die aktuelle Situation in der Türkei  macht das Buch zudem politisch.

Surreale Szenen wechseln sich ab mit allzu realen Begebenheiten. Kaum glaubt man, sich zu der einen oder anderen Person ein Bild machen zu können, wechselt die Blickrichtung. Ich fand dieses Buch tatsächlich unfassbar, vieles war für mich nicht greifbar, verstörend zumal, und doch immer wieder seltsam vertraut.

Was macht eine Identität aus, Herkunft, Heimat, Familie, Erziehung, Kultur, Religion, politisches Umfeld, sexuelle Ausrichtung?
Auch wenn mir das Buch zum Schluss mehr Fragen aufwirft als Antworten bietet, war ich von der bildreichen Sprache, dem Spiel mit Worten und der schonungslosen Erzählkunst begeistert. Gerade dass es für mich keine eindeutige Auflösung der Identitäten gibt und dazu breiten Interpretationsspielraum bietet, mach das Buch für mich zu etwas ganz Besonderem

Meiner Meinung nach zu Recht stand dieses Buch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2017.