Rezension

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Authentisch dargestelltes Gefühlschaos

Du bringst mein Leben so schön durcheinander - Claire Christian

Du bringst mein Leben so schön durcheinander
von Claire Christian

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Ein Schnellrestaurant wie Magic Kebab ist nicht gerade der Ort, an dem man sich vorstellt, dem Menschen zu begegnen, der dein Leben verändert. Aber genau dort lernen sich Ava und Gideon kennen. Das beliebte Mädchen und der zurückhaltende Poetry-Slammer haben auf den ersten Blick nichts gemein - außer den Schmerz, der sie innerlich aufzehrt. Doch wenn sie zusammen sind, verblasst dieser Schmerz und macht etwas anderem Platz. Etwas, das sie glauben lässt, sie könnten eines Tages wieder glücklich sein. Zwischen den beiden entwickelt sich in kürzester Zeit eine besondere Freundschaft. Vielleicht sogar mehr als das. Doch das, was die beiden haben, ist zerbrechlich. Jemanden emotional nahe zu sein, ist viel schwerer als körperliche Nähe zuzulassen. Furchterregender. Sind sie wirklich bereit dazu, nach allem, was sie durchgemacht haben?

Meine Meinung

An "Du bringst mein Leben so schön durcheinander" ist mir als Erstes positiv aufgefallen, dass es sich nicht darum dreht, dass sich eine unsichere Jugendliche in den Jungen mit fragwürdigem Ruf verliebt. Es war erfrischend, mal wieder einen Jugendroman zu lesen, bei dem nicht auf jeder Seite mit Klischees um sich geworfen wird. In dem Fall haben wir zwei Heranwachsende, die auf ganz unterschiedliche Weise kaputt sind und mit dem Leben hadern. Das an sich ist nicht unüblich für das YA-Genre. Die Persönlichkeiten und Dynamik der Protagonisten sowie der Handlungsverlauf heben "Du bringst mein Leben so schön durcheinander" jedoch in meinen Augen von vielen Genrevertretern ab.
Im Zentrum stehen Ava, die gerade ihre beste Freundin Kelly verloren hat und sich in einem Stadium der Trauer befindet, und Gideon, der ebenfalls einen inneren Kampf austrägt, allerdings einen gänzlich anderen als Ava. Die Ausgangssituation birgt genug Potenzial für das ganz große Gefühlskino. Und gewissermaßen ist diese Bezeichnung auch zutreffend. Trotzdem will ich vorab gleich sagen: Wer auf der Suche nach einer Geschichte mit einem tränenreichen Kampf gegen die Leere und einer alles verändernden Liebe ist, der sollte sich stattdessen lieber woanders umschauen. "Du bringst mein Leben so schön durcheinander" ist ohne Frage emotionsgeladen, aber auf weniger aufdringliche, dramatische, schmalzige Weise (das ist als Kompliment gemeint). Stattdessen hat Claire Christian meiner Meinung nach ein recht authentisches Abbild des Innenlebens junger Heranwachsender (oder von Menschen allgemein) geschaffen: überrollt von Hormonen und Emotionen, die sie nicht einzuordnen wissen, immer auf der Suche, aber ohne konkrete Vorstellung wonach eigentlich, wollen lieben und geliebt werden und haben gleichzeitig höllische Angst vor Nähe und davor, sich jemandem zu offenbaren. Vielleicht hat mich Gideon deshalb so beeindruckt: Weil er zwar genauso ängstlich ist wie alle anderen auch, er sich aber - wörtlich und im übertragenen Sinne - auf eine Bühne stellt und sein Innerstes nach Außen kehrt. Er macht sich angreifbar, obwohl er sich des Risikos bewusst ist, verletzt zu werden. Wie viele Menschen können das von sich behaupten?
Ich glaube, das ist es auch, was Ava so an ihm fasziniert, denn diese Eigenschaft fehlt ihr zum aktuellen Zeitpunkt. Sie hat gerade eine der schlimmsten Verletzungen erlitten, die man erleiden kann. Das Letzte, was sie will, ist diese Erfahrung zu wiederholen. Nach Kellys Tod ist sie ungefestigt. Oftmals hatte ich das Gefühl, dass sie selbst nicht so recht weiß, was sie will, dass sie keine Ahnung mehr hat, wer sie ohne ihre beste Freundin überhaupt noch ist. Einerseits fand ich das sehr ergreifend. Andererseits war es für mich dadurch nicht sonderlich einfach, mich Ava anzunähern. Denn wie soll man einen Menschen verstehen, der sich selbst nicht versteht?
Das ist auch der Grund, warum meiner Meinung nach von Anfang an jede Beziehung zum Scheitern verurteilt ist (das gilt nicht nur für diese, sondern allgemein für alle): Solange eine von beiden Personen nicht mehr weiß, wo sie im Leben steht und/oder sich selbst als Person nicht wertschätzt, ist sie emotional nicht bereit für etwas Dauerhaftes. Da kann der/die Andere noch so fantastisch und großartig sein. Und das ist Gideon ohne Frage: lieb, verständnisvoll, einfühlsam. Er tut Ava gut, ist ihr eine Stütze, einfach indem er zuhört und - noch wichtiger - ihre Wut, Hilflosigkeit und Trauer nachvollziehen kann. Er ist der Ritter in schimmernder Rüstung - auch wenn er auf den ersten Seiten mit seiner Schüchternheit nicht gerade diesen Eindruck auf mich gemacht hat. Sein Interesse ist ehrlich und aufrichtig und er ist wirklich um sie bemüht. Von Ava kann ich das nicht immer behaupten. Es ist nicht so, dass die Gefühle nur einseitig wären. Aber sie gehen doch unterschiedlich tief. Ich glaube, für Ava hat das Miteinander eine ganz andere Bedeutung als für Gideon. Er hilft ihr dabei zu heilen und zu sich selbst zu finden, was wirklich schön mitzuverfolgen ist. Im Gegenzug akzeptiert Ava Gideon so, wie er ist - inklusive seines emotionalen Ballasts. Das macht eine gute Freundschaft aus. Genau das ist der Knackpunkt: Für mich waren beide einfach eher Freunde als Verliebte. ***Vorsicht Spoiler*** Ich denke, das hat auch Claire Christian erkannt oder bewusst so geschrieben. Deshalb war das Ende des Romans vielleicht nicht das, das ich mir beim Lesen des Klappentextes vorgestellt habe, aber es war letztlich das passendere. Man kann nichts erzwingen, was nicht da ist. ***Spoiler Ende****
Nach diesen überwiegend lobenden Worten bleibt die Frage: Was hat mir gefehlt? Zum einen fand ich persönlich Kelly und ihren Bruder Licoln einfach als Menschen unterrepräsentiert. Es werden zwar die Gefühle thematisiert, die Ava in ihrer Abwesenheit oder Gegenwart verspürt, aber über die Personen selbst hätte die Autorin gerne mehr schreiben können, damit mein Bild von ihnen mehr gefestigt wird. Es kam mir so vor, als hätte man nur das Nötigste von ihnen erfahren. Gut, Kelly ist tot und kann sich daher nicht zu Wort melden. Da sehe ich auch ein, dass man nicht unbedingt auf magische Weise die Gründe für ihren Selbstmord in allen Details erfährt. Aber darüber, welche Art Mensch sie ist, hätte Ava sicherlich viel mehr erzählen können. Auch Licoln hätte man als Kellys Bruder ruhig mehr Raum - oder mehr Stimme - geben können, schließlich steht es außer Frage, dass auch er unter ihrem Verlust leidet (das gilt selbstverständlich auch für Kellys und Licolns Mutter).
Zum anderen hätte ich mir gewünscht, dass die Poetry-Slam-Texte im englischen Original zumindest irgendwo abgedruckt gewesen wären. Sie waren zwar an sich ganz gut übersetzt, aber ich finde, gerade bei lyrischen Texten geht bei der Übersetzung ziemlich viel vom Rhythmus und der Botschaft verloren. Wenngleich das nicht der ausschlaggebende Punkt für meine Einschätzung ist, ich wollte es aber erwähnt haben.

Mein Fazit

"Du bringst mein Leben so schön durcheinander" möchte ich jenen ans Herz legen, die nicht die immer gleiche Geschichte um die Verliebtheit in einen vermeintlichen Bad Boy lesen wollen. Für mich war Claire Christians Werk deshalb genau richtig. Sie hat mir eine authentische Darstellung des menschlichen Gefühlschaos geliefert sowie einen großartigen männlichen Protagonisten, der mir imponiert hat und den ich mir selbst zum Freund wünschen würde. Das hat mich fast darüber hinwegsehen lassen, dass Christian den Nebencharakteren ein bisschen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat.

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