Rezension

Authentischer Beginn der Emanzipation

Unter den Linden 6 - Ann-Sophie Kaiser

Unter den Linden 6
von Ann-Sophie Kaiser

Bewertet mit 5 Sternen

Nachdem die junge Physikerin Lise Meitner in Wien ihren Abschluss gemacht hat, reist sie 1907 nach Berlin, um dort an der Friderich-Wilhelms-Universität Unter den Linden 6 unter dem berühmten Max Planck arbeiten zu dürfen. Durch einen Zufall lernt sie die schon bald Hedwig Brügger kennen, die einen längeren Sanatoriumsaufenthalt ihres Mannes August nutzen will, um heimlich zu studieren und das Dienstmädchen Anni, die sich nichts mehr wünscht, als das Abitur zu machen. Doch zu dieser Zeit ist Frauen Bildung verwehrt und die drei unterschiedlichen Frauen kämpfen - jede auf ihre Art - gegen der erbitterten Widerstand der Männer um Emanzipation.

Ann-Sophie Kaiser hat, ausgehend von der wahren Geschichte der Physikerin Lise Meitner, zwei weitere spannende weibliche Figuren ersonnen. Anhand dieser Frauenleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelingt es der Autorin, nicht nur ein ausdrucksstarkes und stimmiges Sittengemälde der Belle Epoque zu zeichnen, sondern auch den beginnenden Kampf der Frauen um ihre Emanzipation darzustellen. Oftmals mit Wut, Fassungslosigkeit und Entsetzen musste ich von der Behandlung der Evastöchter durch ignorante bis bösartige Männer lesen und bewunderte den Mut und die Stärke der Handelnden - ohne diese Kämpferinnen ginge es uns Frauen heute sicher deutlich schlechter!

Kaiser zeichnet ihre Figuren überaus authentisch und mehrdimensional, die sich im Laufe der Handlung durchaus weiterentwickeln. Dabei habe ich oftmals die Power und Entschlossenheit bewundert, gerade auch bei den zahlreichen Rückschlägen. Angenehm sind Dutzende bekannte Historische Persönlichkeiten (der Wissenschaft, der Politik und der Frauenbewegung) in die Geschichte eingebaut, was einen besonderen Reiz darstellt.

Obwohl das Geschehen in Berlin durchaus spannend erzählt wird, fesselte mich vor allem die Aufarbeitung des Themas der "Emanzipation", das die Autorin auf hervorragende mitfühlende Weise zu vermitteln vermag.

Der Schreibstil ist flüssig, authentisch und konnte mich zu jeder Zeit mitnehmen, so dass ich das Buch in einem Rutsch durchlesen wollte. In den einzelnen - entsprechend markierten - Absätzen steht jeweils eine der drei Protagonistinnen im Mittelpunkt, aus deren Sicht das Geschehen von einem personalen Erzähler berichtet wird, was das Leben äußerst eindringlich werden lässt. Mit allen drei Hauptpersonen habe ich mitgefühlt und mitgelitten. Viel zu schnell endete das Geschehen mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges, der das Bemühen der Frauen in neue Bahnen lenkte.

Mit "Unter den Linden 6" habe ich schon jetzt mein Highlight in diesem Lese-Jahr gefunden und kann es absolut weiterempfehlen. Insbesondere für Frauen eine Pflichtlektüre!