Rezension

Autobiografischer Schlüsselroman

Die Klassenkameradinnen - Eileen Chang

Die Klassenkameradinnen
von Eileen Chang

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als Benjamin Levy in den USA der Nixon-Ära Kabinettsmitglied wird, ist das Presse-Echo darauf für die Dolmetscherin Zhao Jue ein Schock. Levy war als deutscher Jude in den 30ern des letzten Jahrhunderts nach Shanghai emigriert, seine chinesische Frau Enjuan ging dort mit Zhao gemeinsam zur Schule. Zhao glaubt bis heute, dass ein von ihr hervorgestoßener Schlüsselsatz entscheidender Anstoß zur Beziehung des Paares war.

Die aus gegensätzlichen Verhältnissen stammenden Mädchen besuchen ein nobles christliches Mädchen-Internat. Zhao stammt aus Souzhou. Sie spricht den Shanghai-Dialekt nur schlecht und kann sich auch mit Mandarin nicht anfreunden, weil sie die Hochsprache als gekünstelt  empfindet. Die Schülerinnen scannen gegenseitig ihre körperliche Entwicklung, homoerotische Schwärmereien und Mobbing durch Anspielungen darauf sind üblich. Zhao schwärmt  aus der Ferne für He Surong, die zwei Klassen über ihr ist. Die Situation der androgyn wirkenden Zhao wird aufgrund ihrer Außenseiterrolle nicht einfach gewesen sein. Enjuan verliebt sich in ihren Lehrer Ben, folgt ihm nach Chongqing und später in die USA. Erst als Zhao selbst in die USA kommt und nach der Trennung von ihrem Mann, nimmt sie nach anfänglicher Distanz den Kontakt zu ihrer Klassenkameradin wieder auf.  Rivalität zwischen den Frauen und ihre Verbitterung über alte Verletzungen sind deutlich spürbar. Offen bleibt für mich, wie stark die erotische Komponente von Frauenbeziehungen damals verdrängt werden musste.

Eileen Changs Novelle gilt als Schlüsselroman zu ihrem Werk. Ich sehe ihn auch als Schlüssel zur Rolle chinesischer Frauen in den 30ern und zum „Lesen“ von Liebesbeziehungen zwischen Frauen zu jener Zeit. Der kurze Text richtet einen glasklaren Blick auf die Epoche der 30er in Shanghai und der 60er in den USA. Zwischen knappen historischen Wegmarken vermittelt er allein Zhaos Sicht auf ihre Beziehung zu Enjuan und He Surong. Dass es mehr als eine/ihre Interpretation der Ereignisse geben kann, kommt ihr nicht in den Sinn. Zhao wirkt auf mich daher sehr starr in ihren Urteilen. Mit „alten“ Werten und Forderungen ihrer Eltern scheint sie sich kaum auseinandergesetzt und nur schwer einen eigenen Weg gefunden zu haben. Die Äußerung der jugendlichen Frauen damals, Ben sehe „für einen Ausländer gut aus“, lässt sich heute zu einer intensiven Diskussion weiterspinnen, was aus traditionellen Vorstellungen beider inzwischen geworden ist.  Auch einen westlichen Lesern fremden Freundschaftsbegriff und daraus resultierendes Instrumentalisieren anderer Menschen lässt sich hier entdecken. Die Einordnung des Romans erfordert  außer Kenntnissen von Changs Werk historisches Grundwissen. Das sehr hilfreiche Nachwort der Übersetzerin Susanne Hornfeck liefert  historische Orientierungspunkte und erklärt den autobiografischen Hintergrund: Changs „Klassenkameradinnen“ besuchen ihr eigenes Internat in Shanghai, Zhao ist unübersehbar Changs Alter Ego.

Kommentare

Schokoloko28 kommentierte am 01. Juni 2020 um 09:40

Das Buch hört sich sehr interessant an!