Rezension

Autobiographisches Erzählen als Kunstform

Der Kreis - Andreas Maier

Der Kreis
von Andreas Maier

Bewertet mit 5 Sternen

Andreas Maier, Der Kreis, Suhrkamp 2016, ISBN 978-3-518-42547-3

 

Mit dem vorliegenden fünften Band seines autobiographischen Romanprojekts „Ortsumgehung“ ist der in Friedberg in der Wetteraus geborene und aufgewachsene Schriftsteller Andreas Maier nicht nur fast in der Hälfte des auf angeblich elf Bände angelegten Werkes angekommen, sondern in dem Roman „Der Kreis“ vollzieht sich auch eine Art Wende, die Geburt eines Künstlers und einer Idee von der Welt und seiner Aufgabe in ihr.

 

Inspiriert von Thomas Bernhard, über den er auch promovierte, entwickelte Andreas Maier schon in den Bänden „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“, „Der Ort“ seit 2010 von Buch zu Buch das autobiographische Erzählen als Kunstform und erweitere sukzessive sein Beobachtungsspektrum. Quasi wie in konzentrischen Kreise erzählt er immer wieder von seiner Kindheit und Jugend und setzt mit jedem Buch immer wieder neu an, bezieht sich auf Bekanntes, fügt Neues hinzu und begleitet als erwachsener Intellektueller mit großem Einfühlungsvermögen sich selbst als Kind und Jugendlicher auf dem Weg in die Welt und ins künstlerische, ästhetische und politische Bewusstsein.

 

In „Der Kreis“, folgerichtige Erweiterung des Lebensradiusses nach dem Ort, fängt Maier wie noch einmal von vorne an und gibt dem Titel neben der geographischen Einordnung der Handlung noch eine weitere Bedeutung: „Ein Kreis ist ein Kreis, weil das Ende in den Anfang mündet und damit verschwindet. Der Kreis hat kein Vorne und kein Hinten, und wenn man ihn als Band zur Möbiusschleife bindet auch kein Innen und Außen.“

 

Unterteilt in die Kapitel: Grundschule, Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe geht er zunächst noch einmal weit zurück in die Kindheit und erzählt neben schon Bekanntem vorzugsweise von der Wahrnehmung und der Anziehung des Kindes, die das Bücherzimmer der Mutter, ihr rastloses Schreiben und die vielen Bücher ausübten.

 

Die vier Teile entsprechen nicht nur verschiedenen Altersstufen, sondern sie beschreiben auch verschiedene Kunstbereiche, denen sich der Heranwachsende nähert: Philosophie, Musik, Theater, Literatur.

 

Aus dem Blick des Erwachsenen beschreibt er, was dem kindlichen Ich damals noch unverständlich war und kann sich umso tiefer darin versenken. In der Lektüre der Mutter (neben den Werken des Friedbergers Fritz Usinger auch Hans Küng und Hoimar von Ditfurth), in ihren Versuchen am Klavier (Bach) „umwehen“ schon das Kind Sphären, die es anziehen.

Als er als Dreizehnjähriger sein erstes großes Konzert erlebt, erfährt er, was diese laute Musik bewirkt. Die Beschreibung eines Konzertes 1980 in der Frankfurter Festhalle ist große sprachliche Kunst, genauso wie die Schilderung einer Theateraufführung an seiner Schule, bei der drei ältere Friedberger Schüler (Thomas Heinze, Rene Pollesch und Matthias Herrmann) ihm einen Eindruck davon geben, was künstlerische Identität sein könnte. Hier an dieser Stelle, das ist spürbar, wird der spätere Künstler Andreas Maier geboren, als der er, da bin ich sicher, die zweite Hälfte seiner „Ortsumgehung“ erzählen wird.

 

Andreas Maiers Zyklus ist ein beeindruckendes Erinnerungsprojekt und bis jetzt ein wertvolles literarisches Zeugnis dessen, was Kindheit und Erwachsenwerden bedeuten können.

 

Es sind immer mehr Leser, die jedes Jahr auf den nächsten schmalen Band warten von dem ich nicht weiß, ob er vielleicht nicht schon längst geschrieben ist. An einer Stelle in „Der Kreis“ bezeichnet sich der 1967 geborene Maier als Vierzigjährig. Das würde ja bedeuten, dass das Buch schon seit zehn Jahren fertig ist.

 

Wie dem auch sei, dieser fünfte Band hat auch dem letzten Skeptiker gezeigt, dass Andreas Maier ein großer Künstler und Schriftsteller ist.