Rezension

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Die Moortochter - Karen Dionne

Die Moortochter
von Karen Dionne

Bewertet mit 5 Sternen

Helen Pelletier lebt mit ihrem Ehemann Stephen, ihren beiden kleinen Töchtern Iris und Mari, und ihrem dreibeinigen Hund Rambo in der einsamen Wildnis von Upper Peninsula in Michigan. Stephen ist Naturfotograf und Helen bessert ihr gemeinsames Einkommen, in der beschaulichen und bescheidenen Einöde, mit dem Verkauf von selbstgemachten Marmeladengelees auf.

Helens indianischer Vater lehrte sie in Kindertagen Fährten zu lesen und zu jagen, was ihr in dieser wilden Gegend zugutekommt. Immer wieder zieht es sie für ein paar Tage in die Wildnis, während Stephen und die Kinder zurückbleiben.

Als Helen eines Tages von einem Gefangenenausbruch aus dem Hochsicherheitsgefängnis erfährt, weiß sie sofort, dass es sich dabei um ihren sadistischen, gefährlichen und psychopathischen Vater handelt, den sie einst verraten hat. Stephen weiß nicht, dass sie als Kind zwölf Jahre lang als Gefangene in einer einsamen Blockhütte gelebt hat und er weiß auch nicht, dass ihr nazistischer Vater ein Vergewaltiger und Entführer ist.

Helen hat ihn damals ins Gefängnis gebracht und nur sie wird ihn erneut hinter Gitter bringen können. Nur sie wird ihre Familie retten können und nur sie kann ihm ebenbürtig sein.

Die Autorin:

Karen Dionne hat in jungen Jahren mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter ein alternatives Leben in einer Hütte auf der Upper Peninsula geführt. Ihre damaligen Erfahrungen in der Wildnis hat sie nun in ihren außergewöhnlichen Psychothriller "Die Moortochter" eingebracht. Heute lebt Karen Dionne mit ihrem Mann in einem Vorort von Detroit, wo sie an ihrem nächsten Psychothriller schreibt. (Quelle: Goldmann Verlag)

Reflektionen:

Die Moortochter hat mich von Anfang an sehr gefesselt und mich nicht mehr losgelassen. Ich bin tief in die Wildnis von Upper Peninsuler eingetaucht, konnte die Einsamkeit dort spüren, das Knistern und Brechen von Zweigen hören, wenn Tiere durch die Wildnis streiften, ich konnte das Moor riechen und ich konnte die Gänze der wunderschönen Natur genießen.

Dieser Thriller ist großartig geschrieben. Abwechselnd sanft und stark im Ausdruck, geschmeidig flüssig und berührend. Karen Dionne hat die Handlung des hoch spannenden Thrillers in die Wiege der wilden Natur gelegt. Es ist ihr intelligent gelungen, die dramatische Gegenwart, der zunächst unsichtbaren Bedrohung durch den nazistischen Vater mit der Vergangenheit und Kindheit der lange gefangengehaltenen Hauptprotagonistin Hellen Pelletier vielschichtig ohne Längen zu erzählen, ohne die Handlung in irgendeiner Weise zu überladen. Die Geschichte ist so außergewöhnlich und weit von dem entfernt, was man sonst inhaltlich in thematisch ähnlichen Büchern liest. Helens Kindheit stellt dabei den Haupterzählstrang dar.

Ich nicke erneut. Eine Geste, von der ich hoffe, dass Stephen sie als Entschuldigung und Geständnis zugleich auffassen wird. Ja, Jacob Holbrook ist mein Vater. Ja, ich habe dich belogen von dem Tag an, als wir uns kennenlernten. Ja, das Blut dieses bösen Mannes fließt in den Adern unserer gemeinsamen Töchter. Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht eher gesagt habe.

Es tut mir leid, leid, leid. (Zitat)

Zwölf Jahre lang sieht Helen außer ihren Eltern keinen anderen Menschen. Körperkontakt und Liebe wie wir sie kennen sind ihr fremd. Sie wächst in der Annahme auf, dass das Leben genau so sein muss, wie sie es kennt. Ohne Uhr, ohne Elektrizität, ohne fließend Wasser und einzig im Einklang mit der Natur, völlig isoliert. Für uns schwer zu begreifen so zu leben, aber es gelingt der Autorin, die Normalität dieser Familie authentisch und glaubhaft in alltags Details zu erzählen.

Zum fünften Geburtstag bekommt Helen vom Vater ein Messer geschenkt, tötet ihr erstes Kaninchen. Mit sechs Jahren erlegt sie ihre erste Hirschkuh, die mit Zwillingskitzen trächtig war und fiebert so ihrem Ziel immer mehr entgegen, ein „Mann“ der Wildnis zu werden. Sie lernt Spuren und Fährten zu lesen und wetteifert mit dem Vater, ihrem Held, den sie abgöttisch zu lieben glaubt, auch wenn er sie zur Bestrafung von Respektlosigkeit in einen Brunnenschacht stürzt, den er vorher mit scharfkantigem und spitzem Müll am Grund befüllt hat.

Das einzige was sie mit der Welt draußen verbindet, sind fünfzig Jahre alte Geographic-Magazine, in denen sie immer wieder blättert und deren Inhalt sie erst spät vorsichtig hinterfragt.

Die Rolle der von Helens Vater einst entführten, wehrlosen Mutter ist unscheinbar und passt zu ihrer leblosen, blassen Existenz. Karen Dionne versteht es, die allseits präsente Angst der Mutter vor alltäglicher Gewalt emotional berührend in die Handlungen der Mutter einzuflechten und widerzuspiegeln. Als nach zwölf Jahren Gefangenschaft ein Ereignis eintritt ist es Helen, die ihre Mutter und sich selbst vor dem Vater retten kann, indem sie das vom Vater Erlernte gegen ihn verwendet.

All diese Dinge werden rückblickend und eindringlich erzählt. Die Perspektiven zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind gut pointiert platziert. Helen weiß, dass ihr aus dem Gefängnis ausgebrochener Vater sie jagen wird und nur sie kann ihre Familie retten, aber Helen dreht den Spieß um und beginnt mit einer gefährlichen Jagd auf ihren Vater, der sie stets manipuliert hat.

Bevor ich sagen konnte, dass es mir wirklich, wirklich leistet und dass ich bestimmt daran denken würde, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und dass ich mir nie, nie wieder auf meinen Daumen schlagen würde, ballte er seine Hand zur Faust und ließ sie auf meinen Daumen niederkrachen. Ein Sternenregen explodierte vor meinen Augen, und ein weißblühender Schmerz schoss mir in den Arm.

Ich wachte auf dem Boden auf. Mein Vater kniete neben mir. Er hob mich hoch, setzte mich auf einen Stuhl und gab mir meinen Löffel. Meine Hand zitterte, als ich ihn nahm. Mein Daumen tat schlimmer weh als unmittelbar nach dem Schlag mit dem Hammer. Ich blinzelte die Tränen weg. Mein Vater mochte es nicht, wenn ich weinte. "Iss". (Zitat)

Diese Geschichte ist eine leise, aber dennoch voller Tempo. Sie ist gewaltgeschwängert, aber nicht bluttriefend, obwohl es blutige Szenen und Morde gibt. Die Spannung knistert von Anfang an und sie wartet immer wieder mit überraschenden Spannungshöhepunkten auf, die zusätzlich dafür Sorge tragen, dass eine kalte, kribbelige Gänsehaut langsam den Rücken des Lesers hinaufkrabbelt.

Fazit und Bewertung:

Die Moortochter ist ein faszinierendes und fesselndes Thriller-Highlight. Ich bin so dankbar für dieses großartige Buch und möchte es am liebsten jedem ans Herz legen.

Karen Dionne erzählt in einer ausdrucksstarken Sprache eine außergewöhnliche, hoch spannende und dramatische Geschichte, die in der wilden Natur von Michigan spielt. Der Wechsel geschickt pointierter Perspektiven, die zwischen der Gegenwart und der Kindheit der Hauptfigur wechseln, produzieren eine knisternde Spannung, die bis zur letzten Seite bestehen bleibt. Großartig.

©nisnis-buecherliebe