Rezension

Bedrückend

Herz auf Eis
von Isabelle Autissier

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sie sind jung und verliebt und haben alles, was sie brauchen. Aber ihr Pariser Leben langweilt sie, also nehmen Louise und Ludovic ein Sabbatjahr und umsegeln die Welt. Bei einem Ausflug auf eine unbewohnte Insel vor Kap Hoorn reißt ein Sturm ihre Jacht und damit jegliche Verbindung zur Außenwelt mit sich fort.

Das Buch stand schon auf meiner Wunschliste, seit ich es letztes Jahr zum ersten Mal im Buchladen gesehen habe. Die Beschreibung erinnerte mich ein wenig an "Insel der blauen Delphine"  und "Herr der Fliegen" für Erwachsene: das Überleben auf einer einsamen Insel, hier noch einmal mit dem Extremzusatz "Eis". Als das Buch dann endlich unterm Baum lag, habe ich es in einem Rutsch durchgelesen. Das ging auch gar nicht anders, denn immer, wenn ich es kurz weglegte, ließ mich die Geschichte doch nicht los. 

Beim Lesen konnte ich erst einmal gar nicht groß über alles nachdenken - die ständigen Streitereien zwischen dem Paar, der verschiedene Umgang mit der Situation, die wiederholten erlebten Enttäuschungen, die Jagd auf Pinguine, die eine beinahe animalische Lust in beiden entfesselt: erst in der ein oder anderen Gedankenpause konnte ich das alles noch einmal revue passieren lassen. Erst, wenn man die Situation überdenkt, zieht es einem richtig den Magen zusammen, alles wirkte auf mich sehr eindrücklich und bedrückend. Dazu trägt auch die schlichte Sprache bei, die kaum ausschmückt, eher wie ein gleichgültiger Beobachter beschreibt. Auf Gefühle und Innenleben der Figuren wird gerade so eingegangen, dass es reicht; mehr ist aber auch gar nicht nötig, dem Leser erschließen sich die schweren Konflikte auch von selbst. 

Die Story enthält, so wie ich das sehe, zwei Brüche; der erste und kleinere Bruch geschieht, als Louise sich allein aufmacht, um Zvivilisation oder Nahrung zu finden und mit ihrem darauf folgenden Verhalten der Geschichte eine neue Wendung gibt.

Den zweiten Bruch bildet die Rückkehr in die "normale" Welt, in der Louise mit ihrer Vergangenheit, ihren Taten und ihrem Trauma konfrontiert wird. Zuerst war ich enttäuscht, dass die Geschichte nicht endet, wo sie begann: auf der Insel. Es ist irgendwie auch als Leser unangenehm, plötzlich wie Louise im Rampenlicht zu stehen, in der wirklichen Welt zu sein, alle Annehmlichkeiten zu haben, die man auf der Insel entbehren musste. Doch dieser Teil wächst sich zu einem hochinteressanten aus: denn hier erst wird dem Leser bewusst, wie Louise gehandelt hat, was die Konsequenzen sind - und man fragt sich sofort, hätte man auch so gehandelt, hätte man Louises Kraft gehabt? Auf diese Fragen gibt es keine befriedigenden Antworten, man muss sie schon selbst finden. Auf jeden Fall blieb bei mir nach dem Lesen ein eindrückliches, aber auch bedrückendes Gefühl.