Rezension

Beeindruckend intensiv

Meine geniale Freundin - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante

Bewertet mit 5 Sternen

Im Alter von 66 Jahren verschwindet Raffaella aus ihrem bisherigen Leben und tilgt sämtliche Spuren, als hatte es sie nie gegeben *wow*! Für ihre Freundin Elena kommt das nicht ganz überraschend, aber einfach so hinnehmen will sie das auch nicht und setzt sich an ihren Computer um die Geschichte ihrer beider Leben und ihrer Freundschaft aufzuschreiben.

Die Sache mit dem „Ferrante-Fieber“ finde ich übertrieben. Solche Aussagen im Vorfeld schrauben die Erwartungen besonders hoch und lassen mich dann oft enttäuscht zurück. Hier glücklicherweise nicht.

Elena Ferrante schreibt eine Geschichte ohne das ganz große Drama, über die Alltäglichkeiten des Heranwachsens in einfachen Verhältnissen. Ihre Erinnerungen führen zurück in das Neapel der 50er Jahre, in eine Zeit als zwei ungefähr 6-jährige Mädchen sich beschnuppern und vorsichtig erste Kontakte knüpfen. Keine leichte Zeit, in der die Beiden heranwachsen, Elena schreibt selbst von „einer Kindheit voller Gewalt“, die sie jedoch mit einem Pragmatismus durchleben wie er Kindern häufig zu eigen ist.
Anfangs scheinen die Rollen klar verteilt. Ich-Erzählerin Elena ist ängstlich und schüchtern, bedacht nicht unangenehm aufzufallen und möglichst alles richtig zu machen. Ihre Freundin Lila/Raffaella hingegen offenbart schon als kleines Mädchen eine charismatische Persönlichkeit, furchtlos und unberechenbar – und von außergewöhnlicher Intelligenz. Bildung war damals nicht leicht zu erlangen, schon gar nicht für Mädchen. Was Elena sich mühsam in nächtlichen Lese- und Lernmarathons erarbeitet, fällt Lila mühelos in den Schoß. Und doch ist es dann Lena, die bekommt was Lila sich insgeheim sehnlichst wünscht - Zugang zu Wissen und höherer Bildung. Dadurch verändert sich die Beziehung der Mädchen. Sie wird vielschichtiger, in der Folge gibt es immer wieder Phasen, in denen sich Elena nicht mehr unterlegen fühlt, häufiger Momente der Fremdheit, von Neid und Konkurrenzdenken – die aber immer wieder in die Erkenntnis münden, wie sehr sie einander brauchen. Wenn es darauf ankommt ist die eine für die andere da, ihr Verhältnis ist und bleibt ein ganz besonderes.

Wie Elena Ferrante erzählt, hat mich unglaublich beeindruckt. Ihre Sprache ist einfach, unaufgeregt und doch ungeheuer emotional und berührend. Sie hat einen sehr genauen Blick für Stimmungen und Details und lässt ein großes Maß an Klugheit und Lebensweisheit erkennen.

Fazit:
Ein faszinierendes Gesellschaftsporträt, die Geschichte einer Freundschaft, so herausragend und fesselnd erzählt, dass man das Buch am Ende nur ungern zuklappt und sich fragt, wann denn um Himmels Willen die Fortsetzung erscheint.