Rezension

Beeindruckender Ausnahmeroman

Die Wand - Marlen Haushofer

Die Wand
von Marlen Haushofer

Bewertet mit 4 Sternen

Zurückgeworfen auf die pure Existenz

„Ich bin noch lange nicht in Sicherheit. Sie können jeden Tag zurückkommen und mich holen. Es werden Fremde sein, die eine Fremde finden werden. Wir werden einander nichts mehr zu sagen haben. Es wäre besser für mich, sie kämen nie.“

Inhalt

Die namenlose Ich-Erzählerin wollte ursprünglich mit ihrer Kusine und deren Mann einen Ausflug in die Berge machen, wo ihre Bekannten eine gemütliche Jagdhütte haben. Doch nach einem Abstecher ins nahe gelegene Dorf, kehren die beiden nicht zurück. Am nächsten Tag beschließt die Frau sich auf die Suche nach ihnen zu machen, stößt aber auf eine durchsichtige Wand, die keine Öffnung und anscheinend auch kein Ende besitzt. Fortan sitzt sie in der Jagdhütte fest, mutterseelenallein und vollkommen auf sich gestellt. Und während sie zunächst noch auf Rettung hofft, lesen wir hier ihren Tatsachenbericht, den sie in den vergangenen zwei Jahren verfasst hat, solange, wie sie noch Papier zur Verfügung hatte …

Meinung

Aufmerksam bin ich auf dieses Buch geworden, nachdem ich zahlreiche positive Lesermeinungen darüber zur Kenntnis genommen habe und da es sich nicht ausschließlich um eine düstere Dystopie zu handeln schien (die lese ich eher ungern), wollte ich diesen Bericht gerne selbst entdecken. 

Nach der Lektüre bin ich immer noch etwas zwiegespalten, denn Marlen Haushofer schafft einerseits einen dynamischen, beängstigenden Ausnahmeroman, den man unbedingt gelesen haben sollte, präsentiert andererseits aber eine minimalistische Handlung mit zahlreichen Wiederholungen und für mich schwer nachvollziehbaren Entwicklungen. Leider muss ich sagen, dass ich die meisten Probleme mit der Hauptprotagonistin und ihren Denkweisen hatte, die ich wirklich nur mit viel Geduld ertragen konnte. Denn anders als ursprünglich von mir erwartet, arrangiert sie sich ausgesprochen gut mit ihrem auferlegten Schicksal und findet an ihrem auf die Grundbedürfnisse reduzierten Leben nach gewisser Zeit sogar Gefallen. Mit Bedacht und Ruhe richtet sie sich in ihrem neuen „Zuhause“ ein und stellt ihren Alltag fortan auf die Bedürfnisse der ihr anvertrauten Tiere ein. Ein Hund, eine trächtige Kuh und eine zugelaufene Katze sind ihre einzigen Begleiter in der ansonsten still gewordenen Bergwelt und letztlich auch eine wichtige Nahrungsgrundlage, die es zu pflegen gilt.

Nachdenken möchte sie eigentlich ungern und lässt sich nur hin und wieder, manchmal mitten in der Nacht oder in der spärlichen Zeit mit Müßiggang dazu hinreißen, über ihre Vergangenheit zu grübeln bzw. sich ihre Zukunft auszumalen. Und genau in diesen wenigen Momenten gelingt es der Autorin ganz existenzielle Fragen über den Sinn des Lebens, die Beschränkungen des normalen Alltags und die menschlichen Verfehlungen zu stellen – und immer dann, fand ich die Gedankengänge einfach nur grandios und habe viel über den Text und das Gelesene nachgedacht. Ich glaube, wer sich mit dem Gedankengang, irgendwo ganz allein gestrandet zu sein auseinandersetzt, bleibt fasziniert an den Aufzeichnungen hängen, schon allein weil sich in jeder kleinen Szene das unausweichliche Schicksal des Menschen und seines Daseins offenbart – zurückgeworfen auf die pure Existenz, verliert fast alles, was im normalen Alltag wichtig erscheint an Bedeutung.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen äußerst einprägsamen, stillen wie intensiven Roman über ein Leben jenseits der Zivilisation. Definitiv eine Lektüre, die Spuren hinterlässt und sich bestens für Gedankenspiele und Diskussionsrunden eignet. Zum Lieblingsbuch reicht es bei mir leider nicht, dafür fehlte es mir an greifbaren Entwicklungen und einer Parallele zwischen dem Text und dem Leben selbst. Auch die Hintergründe, warum diese Mauer existiert, welchen Zweck sie erfüllt und wieso alles so gekommen ist, lässt die Autorin im Dunkeln – man kann sich diverse Möglichkeiten überlegen, aber geklärt wird keine davon. Außerdem haben mich die depressive Gesamtsituation und die düsteren Prognosen nicht so ganz erreicht, gerade weil es mir nicht gelungen ist, der Frau in der Wildnis emotional näher zu kommen. Trotzdem hat mich dieses kleine Büchlein mit all seinen Denkmustern bewegt, wie es manch 500 Seiten Roman nicht schafft, deshalb kann ich eine klare Leseempfehlung aussprechen.