Rezension

Beeindruckendes Debüt, sprachlich erfrischend, psychologisch tiefgehend

Dschungel
von Friedemann Karig

Bewertet mit 5 Sternen

Das Spannende an Debütromanen ist das Unerwartete, der Überraschungseffekt, weshalb man als Leser unbekannten Autoren immer eine Chance geben sollte. Eine solche literarische Überraschung ist zweifellos „Dschungel“, der erste Roman des Journalisten und Sachbuch-Autors Friedemann Karig (37). Es ist die in erfrischender Sprache lebensecht wirkende Geschichte einer echten Männerfreundschaft – die Geschichte zweier Kindheits- und Jugendfreunde, die völlig gegensätzlich im Charakter nur gemeinsam ein Ganzes bilden und deshalb ohne den anderen nicht auskommen können.

Felix ist der Extrovertierte, der kein Risiko scheut, während der namenlose Erzähler „immer so ein bisschen wie ein Hündchen an der Leine hinterhergeschleift wird und ihn einzufangen versucht“, wie es Karig in einem Interview formuliert. Felix ist nun seit Wochen ohne jegliches Lebenszeichen in Kambodscha verschwunden. Der Erzähler sieht sich als dessen „Zwillingsbruder“ als einziger befähigft, ihn zu finden. „Warum eigentlich du? Willst du auch mal ein Held sein?“, fragt ihn seine Freundin Lea.

In einer spannungsreichen, dabei zugleich philosophisch tiefgehenden Kombination aus Reise- und Coming-of-Age-Roman erfahren wir während seiner Suche in kambodschanischen Hostels und einer von alternden Hippies besetzten Insel immer wieder in Rückblenden vom Wachsen dieser intensiven Freundschaft, beginnend schon in Grundschultagen: „Wir waren schlau, wir waren gierig, wir waren neun.“ Die Freunde verbringen jede freie Stunde miteinander, machen als Pubertierende ihre ersten Erfahrungen mit Mädchen, Alkohol („Wir waren betrunken, wir waren die Zukunft, wir waren fünfzehn.“) und Drogen. „Wir waren im Wald, im Dschungel nahe dem alten Lager am Stauwehr. Wie immer, wenn uns wirklich niemand erwischen sollte.“ Nach einer Prügelei wegen eines Mädchens erkennt der Erzähler die ihm wichtigere Bindung an den Freund: „Erst als er um Gnade flehte, ließ ich ab von ihm. Vom besten Freund, den ich jemals haben würde. Niemals würde ich ihn im Stich lassen, schwor ich mir, niemals.“

Jetzt begleiten wir den Erzähler auf seiner verzweifelten Suche nach Felix. Autor Friedemann Karig lässt sie uns diese Suchaktion nicht nur aktiv miterleben, sondern er lässt uns in des Erzählers Gedanken- und Traumwelt eintauchen, das Unverständliche seines Handelns verstehen. Mit jedem Schritt tiefer in den kambodschanischen Dschungel, umso schneller verblasst die Erinnerung an alles bisher in Deutschland Erlebte. Dies wird auch in der Dramaturgie des Romans deutlich: Je näher wir dem Endpunkt der Suche kommen, umso seltener und kürzer werden die Rückblenden in die Jugendzeit der beiden Freunde. Man kann ein neues Leben nur beginnen, wenn man sich vom alten völlig löst, jede Erinnerung auslöscht. Erst tief im kambodschanischen Dschungel, in einem „Dorf ohne Erinnerung“, wird dem Erzähler klar, warum er seinem Freund folgen musste: „Ich liebte und ich hasste dieses Leben mit ihm. Die Angst, nicht zu genügen, auf der Bühne seines Bewusstseins keine Rolle zu spielen, oder eine schlechte, langweilige. Und die Hoffnung auf die seltenen Momente, in denen ich für ihn glänzte. Ich war ihm hierher gefolgt, um ein für alle Mal die Hauptrolle zu bekommen.“

Friedemann Karig hat einen beeindruckenden Roman geschrieben. Es ist eine ungewöhnliche und zugleich spannende, in den Rückblenden an die gemeinsamen Kinder- und Jugendjahre auch unterhaltsame Geschichte. Vor allem aber ist es Karigs Formulierungskunst, die diese psychologisch-philosophisch tiefgehende Geschichte dennoch locker und leicht erscheinen lässt und sein Debüt zu einem literarischen Genuss macht.