Rezension

Beeindrückendes Romandebüt

Einsame Schwestern - Ekaterine Togonidze

Einsame Schwestern
von Ekaterine Togonidze

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Leiber - ein Leben

„Das Schreiben ist wie ein Spiel, man spricht von sich, als wäre man jemand anderes. Jedoch wie alle Spiele ist auch dieses Spiel nur Schein. Hört man damit auf, hat man das gleiche Problem vor sich wie zu Beginn, ein Problem, dem man nicht entkommen kann und das den Namen Leben trägt, das glücklose Leben von Lina und Diana.“

 

Inhalt

 

Lina und Diana haben es geschafft, im Verborgenen aufzuwachsen und vor den Blicken jeglicher Fremder geschützt zu bleiben. Ihre Großmutter, hat sich um die Erziehung der siamesischen Zwillinge gekümmert und sie zu Hause unterrichtet. Doch nun stirbt diese einzige Bezugsperson und die beiden 17-jährigen Mädchen sind auf sich allein gestellt. Ein Hochwasser wird ihnen zum Verhängnis, weil sie ihm nicht entkommen können und so landen sie auf der Krankenstation eines öffentlichen Krankenhauses. Plötzlich stehen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und müssen sich mit wildfremden Menschen arrangieren. Ihr weiterer Verbleib ohne Verwandte ist ungewiss und sie werden in die Obhut eines Zirkus gegeben, der sich bereiterklärt für Kost und Logis zu sorgen, wenn sich die Mädchen an Auftritten beteiligen. Und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in die neue Situation einzufinden: herausgeputzt, gedrillt und zur Schau gestellt – so gestaltet sich ihre nähere Zukunft. Ihr einziger Lichtblick ist das Tagebuch schreiben und der Zauberer Sascha, der ihnen ein bisschen Zuneigung schenkt. Doch zu spät erkennen sie, das auch diese Aufmunterung ihren Preis hat.

 

Meinung

 

Aufmerksam geworden bin ich auf diesen Roman durch die begeisterten Leserstimmen, die ich mit großem Interesse verfolgt habe und so habe ich mir den Debütroman der georgischen Autorin Ekaterine Togonidze zur Hand genommen, um selbst von dem berührendem Schicksal der beiden Mädchen zu lesen, die sich von der Taille abwärts einen Körper teilen.

Auch mich konnte die Geschichte auf ganzer Linie überzeugen, weil es ihr gelingt nicht nur das normale Leid siamesischer Zwillinge aufzugreifen, die sich ihr Lebtag lang einen Körper teilen müssen und trotz verschiedener Charaktere und unterschiedlicher Vorlieben alles gemeinsam machen müssen, sondern auch weil sie den gesellschaftlichen Aspekt dieser „Rarität“ so schonungslos und bitter in den Fokus der Erzählung rückt.

 Interessant ist auch der literarische Schachzug, beide Mädchen in Form von Tagebucheinträgen zu Wort kommen zu lassen. Dabei wird sehr realistisch beschrieben, wie verschieden die zwei wirklich sind, wie viele Kompromisse sie ertragen müssen, um durch jeden Tag zu kommen. Lina, die offenere, lebensbejahende, versucht alles mit Emotionen zu erfassen, sie schreibt Gedichte, glaubt an die große Liebe und singt gerne Lieder. Diana ist viel pragmatischer, sie zweifelt mehr, hinterfragt die Dinge und sieht eher das Problem in der Entwicklung als die Chance. Dennoch brauchen beide einander, als wären sie nur ein Mensch, die eine kann ohne die andere nicht existieren.

Besonders traurig und erschütternd wird das Schicksal der beiden durch die Tatsache, dass ihr leiblicher Vater nicht von ihrer Existenz wusste, oder diese nur durch Gerüchte bestätigt hörte, denen er natürlich aus Selbstschutz keinen Glauben schenkte. Wer will schon der Vater eines Monsters sein? Erst nach ihrem Tod, wird er durch die Behörden ausfindig gemacht und mittels DNA-Test wird die Richtigkeit der Behauptung untermauert. Für Rostom Mortschiladze, der bisher ein unscheinbares Leben führte, wird dieses Wissen zur bitteren Wahrheit. Für ihn, der er damals die Mutter der beiden hat sitzenlassen, für ihn der nicht einen Tag an die mögliche Existenz der beiden glaubte, bleibt nun nur noch die Aufgabe für die Beerdigung seiner Töchter zu sorgen. Gerade dieser interfamiliäre Konflikt war es, der mich so berührt hat. Zeigt er doch, welche Sicht die Öffentlichkeit auf Behinderungen jeglicher Art hat. Welcher Makel auch die Angehörigen trifft, welch schiefe Blicke ihnen zugeworfen werden und wie einfach es ist, dem wahren Leben den Rücken zu kehren und sich Nichtwissen als Schutzschild zuzulegen.

 

Fazit

 

Hier kann ich nur volle 5 Lesesterne vergeben, denn auf wenigen Seiten vermag es die Autorin nicht nur ein Einzelschicksal glaubwürdig zu schildern, nicht nur zwei junge Menschen in ihrer gänzlichen Verzweiflung zu charakterisieren, sondern zusätzlich noch den Wert der Zuneigung und Liebe bzw. deren komplette Abwesenheit zu offenbaren. Die Erzählung ist emotional aber nicht rührselig, die Botschaft wird klar transferiert und ist doch nur zwischen den Zeilen zu finden. Der Nachklang und die folgende Auseinandersetzung des Lesers mit der angeschnittenen Thematik sind allerdings immens. Immer wieder gibt es Aspekte, die man aufgreifen kann, jede Perspektive hat ein Für und Wieder und am Ende bleibt trotzdem nur die schnöde, willkürliche Existenz eines bitteren Lebens – wunderbar umgesetzt und absolut empfehlenswert, für alle die einmal mehr darüber nachdenken möchten, was das Menschsein eigentlich ausmacht.