Rezension

Begegnungen in der Nacht...

Nachts - Mercedes Lauenstein

Nachts
von Mercedes Lauenstein

Bewertet mit 5 Sternen

Es gibt Menschen, die nachts erst richtig zu leben beginnen, wenn draußen alles wie tot ist und sie drinnen auf sich selbst zurückgeworfen sind. Was tun diese Menschen in den Stunden der Nacht? Was hält sie vom Tag fern und zieht sie zur Dunkelheit hin?
In diesem Buch werden sie von einer geheimnisvollen jungen Frau in ihrer Einsamkeit gestört. Sie klingelt an den Türen der Wachenden, sie findet Einlass in ihre Wohnungen, sie trinkt mit ihnen Bier und heißen Apfelsaft und Milch mit Whiskey, sie hört ihnen zu, sie teilt Zigaretten mit ihnen, sie blickt gemeinsam mit ihnen aus dem Fenster. Doch niemals fällt sie ein Urteil über sie...

"Ein Auge. Im Türspalt. Schwarzer Wimpernkranz. Eine Frau. Sie trägt so was wie einen Schlafazug, Jersey-Stoff, grau. 'Hallo', flüstere ich und sage auf, was ich mir beim Hinaufgehen ausgedacht habe. 'Ich möchte nicht stören, aber ich besuche Menschen in der Nacht, unangekündigt, und möchte daraus eine Forschung machen, also über die Nacht, über das Wachsein. Ich weiß, ich seh nicht so aus, aber draußen regnet es. Darf ich reinkommen?'" (S. 11)

Eine verrückte Idee ist das. Nacht für Nacht streift diese junge Frau durch die Straßen der Stadt und hält Ausschau nach erleuchteten Fenstern, um dann dort zu klingeln und um Einlass zu bitten. Nicht jeder macht ihr auf, wie man zwischendurch erfährt, manchesmal wird sie beschimpft, aber immer wieder öffnen sich ihr Türen. Von 25 Begegnungen in der Nacht berichtet dieses Buch aus der Sicht der Erzählerin, 25 Einzelschicksale, 25 Spotlights in das Leben nachtwandelnder Menschen...

"Also hab ich einen Job als Zeitungsauslieferer angenommen (...) Toll war das, ein frühes Aufstehen (...) Man wird so herrlich in Ruhe gelassen. Nichts lärmt, kein grelles Licht, keine Menschen. Jeden Morgen spektakuläre Sonnenaufgänge, wilde Wolkenkombinationen in rot, gold, lila. Kann man einfach vor sich herfahren mit dem Rad, quer durch die Sommernacht, und aus den Fahrradtaschen riecht es nach feuchter Druckerschwärze..." (S. 23)

Eine tolle Idee ist das. Nach einer kurzen Beschreibung der Wohnsituation und des Äußeren der- oder desjenigen, den die Erzählerin in der jeweiligen Geschichte aufsucht, setzt sich die junge Frau leise in eine Ecke und lässt den anderen erzählen. Sie möchte erfahren, was der Grund ist dafür, dass diese vereinzelten Menschen nachts nicht schlafen, fragt interessiert aber nicht voyeuristisch nach den Geschichten hinter den Menschen und bekommt diese in ihrer nachtschwarzen Essenz zu hören. Durch die unaufdringliche Art der jungen Frau lassen die aufgesuchten Menschen ihren Gedanken freien Lauf, wie das eben nachts so häufig ist. Eine tiefe Einsamkeit lauert da hinter den meisten Geschichten, sich hier auf so vielfältige Arten präsentierend. Und auch die Erzählerin strahlt diese Einsamkeit aus, auch wenn man kaum einmal etwas von ihr erfährt.

"Siehst du, so früh wird es jetzt hell (...) Im Sommer bin ich gern nachts wach. Im Winter nicht, da schaue ich, dass ich früh ins Bett komme (...) Im Winter ist die Dunkelheit trauriger, irgendwie dichter, zäher. Im Sommer ist sie feiner, da ist die Luft ganz anders, wie mit Kohlensäure versetzt, und die Stunden zwischen Sonnenuntergang und -aufgang sind dermaßen kurz, dass man sie wie aus Versehen durchwacht." (S. 97)

Eine außergewöhnliche Sammlung von Kurzgeschichten umfasst dieses Buch, zusammengehalten von der Idee der Nacht. Ich fühlte mich von Titel und Klappentext gleich angesprochen, da ich sie auch kenne, die schlaflosen und nicht enden wollenden Nächte oder aber auch die kreativen Stunden der Dunkelheit. Ich würde mir in die Hose machen, sollte es zu nachtschlafender Zeit bei mir klingeln - und ganz gewiss würde ich dann niemanden in die Wohnung lassen. Aber beim Lesen der Geschichten kam doch vereinzelt die Idee hoch, dass ich dann auch etwas verpassen könnte.

"Soll ich ihm sagen, dass ich es mag, dass die meisten Menschen nachts allein sind, wie ich es immer bin, und dass ich hoffe, mich nicht mehr so allein zu fühlen, wenn ich ihnen in dieser Einsamkeit begegne?" (S. 187)

Es empfiehlt sich, die Berichte der nächtlichen Besuche auch nachts zu lesen - denn dann passt die Stimmung, stören keine Lichter, keine Geräusche, nichts, was noch eben erledigt werden müsste. Sondern man sitzt gemeinsam mit der fremden Erzählerin in fremden Wohnungen und lauscht den Geschichten fremder Menschen, die manchmal irritieren, manchmal berühren und einem in jedem Fall einen Einblick in das Menschsein geben.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, oftmals schlägt Mercedes Lauenstein in ihrem Debüt einen leichten,  etwas belustigten Ton an, der die nächtliche Dunkelheit nicht zu drückend erscheinen lässt. Eine tolle Entdeckung!

© Parden

Kommentare

LySch kommentierte am 19. Dezember 2017 um 09:37

Ich habe das Buch soeben auch beendet und bin genauso begeistert wie du! Eine wirklich schöne Rezi hast du da geschrieben!