Rezension

Beginnende Emanzipation in der BRD

Freiflug -

Freiflug
von Christine Drews

Bewertet mit 3 Sternen

Das Thema reizte mich. Allerdings reizte die Autorin nicht aus, was man damit literarisch alles hätte anstellen können.

Die Autorin hat sich ein spannendes Thema vorgenommen, einer ausgebildeten Pilotin wird mit der Begründung, man habe doch noch nie eine Frau eingestellt, die Anstellung bei der Deutschen Lufthansa verwehrt - und taucht dazu tief in die 1970er ein. Damit ist ihr Roman sozusagen schon ein historischer Roman, obwohl erst schlappe fünfzig Jahre vergangen sind.

Es begegnen einem folgerichtig 70erJahreSpielzeug: Prilblumen, Palmolive, in das man seine Finger taucht, um sie zu pflegen, Schlaghosen und Ernte 23, der skandalträchtige Minirock, die Bravo, die Illustrierte Quick, die alle schon vergessen haben, und das Waschmittel Semil, das im Hause Bernau, der Unternehmersfamilie, in der wir romanmässig zuhause sind, produziert und verkauft wird. Semil soll wohl das gute alte Persil sein. Oder? Hätte es juristische Probleme gegeben, wenn man Semil Persil genannt hätte? Immerhin sagt die Autorin leise: Umweltverschmutzung.

Man unterhält sich im Hause Bernau, das ist das Elternhaus der Rechtsanwältin, die später die Pilotin im Rechtsstreit "Rita Maiburg gegen die BRD als Hauptanteilseignerin der Lufthansa" vertreten wird, über nichts Privates, jedoch über alles Politische, obwohl man sehr konservativ ist und CDU wählt. Die jüngste Tochter Katharina hat einen richtigen Beruf ergriffen, das war keineswegs üblich im Hause Bernau, denn man hat es nicht nötig, dass die Frauen auch arbeiten, und will sich als Rechtsanwältin selbständig machen. Es werden am Mittagstisch Themen der Strafrechtsreform (Resozialisierung statt Schuld-Sühne-Prinzip) ebenso verhandelt wie Willy Brandts unrühmlicher Abtritt nach der Guillaume Affaire. Katharina steht dabei immer in scharfem Kontrast zum Rest der Familie.

Die BRD ist ganz langsam im Wandel und die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft greift allmählich Platz. Jedoch ist noch viel Widerstand zu überwinden. Das merkt auch Rita Maiburg, die von Katharina vertreten, die Bundesrepublik als Inhaberin oder Teilhaberin der Deutschen Lufthansa verklagt, weil diese sich weigert, Frauen als Pilotinnen einzustellen.

Der Kommentar:
Der Roman liest sich leicht, weil das Thema einfach interessant ist: der Aufsehen erregende Prozeß gegen die Lufthansa beziehungsweise gegen die BRD und die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft. Auch Juristinnen sind noch nicht selbstverständlich. Allerdings muten die Dialoge naiv an. Da geht noch was.

Die Anlaufzeit der Autorin bevor sie endlich zum springenden Punkt kommt, ist jedoch unendlich lang. Der Familienaufstellung im Hause Bernau wird immens viel Zeit und Raum geschenkt, dabei ist dieser Handlungsstrang von wenig Interesse und Bedeutung, zumal die Damen und Herren der Familie stereotyp abgehandelt werden, einschließlich von Familiengeheimnissen. Das ist langweilig und wirkt konstruiert. Alle Klischeevorstellungen, die man über die 70er hat, zusammenwürfeln und in das Buch stecken. Das funktioniert nicht. Man bräuchte Charaktere. Authentizität. Geistreiches und Scharfzüngiges. Gibt es nicht. Die Schreibweise ist schlicht und mit vielen Floskeln durchsetzt.

Banalitäten. Stereotypen. Das ist schade, denn es hat zu allen Zeiten Originale gegeben!

Auch die Informationspolitik der Autorin ist, zumindest in diesem Roman, zu durchschaubar, die Dialoge sind doch nur geschrieben, um den Leser zu informieren, man tut sich schwer, sie als echte Interaktion gelten zu lassen. Nur hin und wieder, wenn Katharina sich über die Ungerechtigkeiten, die Frauen ertragen müssen, empört, wird das Buch ein bisschen lebendig.

Endlich kommt es zum Prozeß.

Um ein richtig gutes Buch zu sein, müsste man jedoch an der Sprache feilen. Eine Charakterstudie bringen, sich von Banalitäten entfernen. Etwas zu sagen haben. Nicht bloß Allzubekanntes herunterspulen!

Es wäre sicher auch hilfreich gewesen, aus der personalen Erzählweise auszusteigen, um übergeordnet erzählen, und vor allem, um denken und werten zu können. So wirken viele Dinge, Dialoge, Figuren, sogar das Zeitkolorit mit seiner Produktpalette platt. Das ist schade, weil das Thema eigentlich schon eine Bank ist. Darum bleiben trotz simpler Schreibe noch drei Punkte.

Fazit: Als Film funktioniert „Freiflug“ sicherlich hervorragend, wenn man ihn mit den richtigen Schauspielern besetzt.

Kategorie: Unterhaltung.
Verlag Dumont 2021